Hallo, willkommen zum 26. Story-Battle!
Das Battle hat sich etwas verspätet, aber nun treten Angoraschka und Ney mit ihren Kurzgeschichten zum Thema "Vergänglichkeit" gegeneinander an ^^
Ihr habt Zeit bis zum 18. Februar, um einer Geschichte eure Stimme zu geben und so zu entscheiden, wer von beiden Sieger wird! ^^
Hier die beiden Geschichten:
Die Blumenhändlerin
(von Ney)
Ich sehe mich noch rennen.
Vorbei am Blumenladen.
Sehe sie winken, und lachen.
Die Blumen gießen.
Sie war immer eine schöne Frau gewesen, aber das hatte ich nicht wirklich realisiert.
Wenn ich auf meinem Skateboard an ihr vorbeiraste, aber auch, wenn ich auf dem Schulweg beim Blumenladen stehen blieb und einen längeren Blick auf die bunten Gewächse und sie werfen konnte, hatte ich immer nur die zarten Falten um ihre Augen- und Mundwinkel gesehen, die schon fahle Haut, die müden Augen.
Sie war eben schon in die Jahre gekommen, die Blumenverkäuferin.
Und der Zeit konnte man das nicht übel nehmen, denn die Blumenverkäuferin gab es schon lange, und sie hatte sich immer gut gehalten. Ewig konnte die Zeit sie ja nicht ignorieren.
Sie hatte Blumen gemocht.
Sehr.
Sie hatte sie geliebt.
Aber es waren nicht die bunten, blühenden Blumen gewesen, die sie am meisten liebte. Sondern die, die welkten.
An einem Tag hat sie mir gesagt, warum. Warum die Welkenden schöner wären. Hatte ich zugehört? Nicht sehr. Wenn alte Frauen redeten, dann war es in meinen Ohren meist nie mehr gewesen, als sinnlose Worte. Aber dieser Frau hatte ich ein bisschen zuhören wollen.
Weil sie ein guter Mensch war, und eben in die Jahre gekommen. Aber der Zeit war schließlich kein Vorwurf zu machen.
Die welkenden Blumen waren wie sie, hatte sie gesagt. Wie das Leben. So war es nun einmal, mit der Zeit. Man wurde geboren. Man wuchs. Man erblühte. Strahlte. Tanzte, sang. Im Rampenlicht. Mit einem Lächeln, das nie verblassen würde. Und dann begann man zu welken. Dann warfen keine Scheinwerfer mehr Licht auf die Tanzenden. Und nicht auf die Blumen.
Dabei kämpften sie immer noch, die Welkenden.
Und lebten noch.
Vielleicht würden sie sogar noch einmal erstrahlen, in alter Schönheit, wenn man sich nur um sie kümmerte.
Welkende Blumen, dass dachte ich, waren Zeitverschwendung. Denn Zeit hatte ich nicht viel, wenn ich mich von meinem Board die Straßen herunter tragen ließ.
Welkende Blumen waren hässlicher als die schönen, das war für mich ganz eindeutig. Und wenn man sie nur wegwarf, hatte man wieder Platz, für eine neue Blume. Schließlich sind Blumen nicht teuer, und man möchte eben doch nur die hübschen unter ihnen im eigenes Haus stehen haben.
Sie hatte Blumen gemocht.
Sehr.
Sie hatte sie geliebt.
Aber es waren nicht die bunten, blühenden Blumen gewesen, die sie am meisten liebte.
Sondern die, die welkten.
Als die Blumenverkäuferin im Krankenhaus lag, stand ich immer noch am Blumenladen. Ich setzte mich auf einen Schemel, und starrte die welkende Blume an, die in der Mitte des Raumes auf einem Tischlein stand. Tischlein, das war es, weil es kein ganzer Tisch war. Aber nun einmal auch kein Hocker. Dinge waren nicht immer einfach einzuordnen. Ich dachte zum ersten mal darüber nach, dass welkende Blumen weder schön, noch hässlich waren.
Eigentlich waren sie nur ein bisschen verdorrt. Aber doch gar nicht so verschiedenen zu den blühenden. Den schönen.
Mein Kinn legte ich auf meine verschränkten Arme und beim anstarren pustete ich die Blume an, die da vor mir stand. Ein verdorrtes Blütenblatt riss sich los und segelte auf den Boden.
Ich war ziemlich erschrocken, als ich es sah. Denn um welkende Blumen sollte man sich kümmern, wenn man wollte, dass sie ihre Schönheit behielten.
Die Nichte der Blumenhändlerin schickte mich raus. Ich hatte lange genug hier herum gesessen, und die zeit wartete nicht. Der Zeit war kein Vorwurf zu machen. Sie wartete ja lang genug.
Bevor ich hinaus ging, goss ich die Blume.
Ich fand, dass sie sich irgendwie freute.
Auf Gräbern liegen Blumen.
Sie liegen da, bis sie welken.
Neue Blumen ersetzen die alten Blumen.
Die alten, die nimmt man weg.
Die alten, die sieht keiner an.
Nicht weil sie die Toten erschrecken, sondern die Lebenden.
Denn die Toten, die wissen wie es ist, zu welken.
Es war einmal, es ist gewesen, es wird nie mehr sein. Tränen fallen, Tränen singen. Sie weinen auch noch für sich selbst, wenn sie in der Erde versickern, und die Blumen gießen, die auf dem Grab liegen.
Ich wischte mir verstohlen mit dem Handrücken über die feuchten Augen, und musste feststellen, dass die alte Blumenverkäuferin damals viel schöner ausgesehen hatte, als jetzt.
Damals hatte sie noch gelächelt, damals war erst zwei Wochen her.
Jetzt lächelte sie nicht mehr. Anstelle ihres warmen Herzens stand da nun ein kalter Stein, der niemandem sagen konnte, wie schön sie gewesen war. Mit den falten, den müden Augen, und der fahlen Haut. Sie hatte der welkenden Blume in ihrem Blumenladen ziemlich ähnlich gesehen. Beide waren sie doch irgendwie schön gewesen. Schöner. Wunderschön.
Ich kniete mich neben die Lilie und starrte auf die Erde über dem noch recht frischen Grab.
Die Lilien waren weiß und strahlten regelrecht neben ihren verdorrten Vorgängern. Ich wollte schon die Hand ausstrecken, um die welkenden Blumen weg zu nehmen. Etwas fiel aus der trockenen Blüte in die Erde. Ich berührte es vorsichtig. Samen. Neues Leben. Sie fühlten sich alt und trocken an, und irgendwie doch viel wertvoller.
Ich ließ sie liegen, und die alte Blume auch. Da wo die Blumen welkten, würden sie zumindest ihre Kinder hinterlassen, und diese würden wachsen und gedeihen. Sie würden schön werden. Würden das Grab zieren. Und sobald diese wieder begannen zu welken, dann…ja, dann gäbe es neue Lilien. Die Blumenhändlerin hätte Blumen, denen sie beim wachsen zusehen konnte, ohnehin viel lieber gemocht, als die frischen, weißen Lilien, die nur dalagen um sie die welkenden zu verhöhnen.
Ich lächelte.
Und vermisste sie.
Irgendwie, dachte ich, hatte sie ja doch ganz gute Dinge gesagt, für eine Blumenhändlerin die eben in die Jahre gekommen war. Ich stand auf und ließ die welkenden Blumen zurück.
Zeit verging, und ließ Blumen welken, aber dafür kann man ihr keinen Vorwurf machen.
Es war einmal, es ist gewesen, es wird wieder sein.
Tick.
Tack.
Auf Gräbern liegen Blumen.
Sie liegen da, bis sie welken.
Neue Blumen ersetzen die alten Blumen.
Die alten, die nimmt man weg.
Die alten, die sieht keiner an.
Nicht weil sie die Toten erschrecken, sondern die Lebenden.
Denn die Toten, die wissen wie es ist, zu welken.
Das Battle hat sich etwas verspätet, aber nun treten Angoraschka und Ney mit ihren Kurzgeschichten zum Thema "Vergänglichkeit" gegeneinander an ^^
Ihr habt Zeit bis zum 18. Februar, um einer Geschichte eure Stimme zu geben und so zu entscheiden, wer von beiden Sieger wird! ^^
Hier die beiden Geschichten:
Die Blumenhändlerin
(von Ney)
Ich sehe mich noch rennen.
Vorbei am Blumenladen.
Sehe sie winken, und lachen.
Die Blumen gießen.
Sie war immer eine schöne Frau gewesen, aber das hatte ich nicht wirklich realisiert.
Wenn ich auf meinem Skateboard an ihr vorbeiraste, aber auch, wenn ich auf dem Schulweg beim Blumenladen stehen blieb und einen längeren Blick auf die bunten Gewächse und sie werfen konnte, hatte ich immer nur die zarten Falten um ihre Augen- und Mundwinkel gesehen, die schon fahle Haut, die müden Augen.
Sie war eben schon in die Jahre gekommen, die Blumenverkäuferin.
Und der Zeit konnte man das nicht übel nehmen, denn die Blumenverkäuferin gab es schon lange, und sie hatte sich immer gut gehalten. Ewig konnte die Zeit sie ja nicht ignorieren.
Sie hatte Blumen gemocht.
Sehr.
Sie hatte sie geliebt.
Aber es waren nicht die bunten, blühenden Blumen gewesen, die sie am meisten liebte. Sondern die, die welkten.
An einem Tag hat sie mir gesagt, warum. Warum die Welkenden schöner wären. Hatte ich zugehört? Nicht sehr. Wenn alte Frauen redeten, dann war es in meinen Ohren meist nie mehr gewesen, als sinnlose Worte. Aber dieser Frau hatte ich ein bisschen zuhören wollen.
Weil sie ein guter Mensch war, und eben in die Jahre gekommen. Aber der Zeit war schließlich kein Vorwurf zu machen.
Die welkenden Blumen waren wie sie, hatte sie gesagt. Wie das Leben. So war es nun einmal, mit der Zeit. Man wurde geboren. Man wuchs. Man erblühte. Strahlte. Tanzte, sang. Im Rampenlicht. Mit einem Lächeln, das nie verblassen würde. Und dann begann man zu welken. Dann warfen keine Scheinwerfer mehr Licht auf die Tanzenden. Und nicht auf die Blumen.
Dabei kämpften sie immer noch, die Welkenden.
Und lebten noch.
Vielleicht würden sie sogar noch einmal erstrahlen, in alter Schönheit, wenn man sich nur um sie kümmerte.
Welkende Blumen, dass dachte ich, waren Zeitverschwendung. Denn Zeit hatte ich nicht viel, wenn ich mich von meinem Board die Straßen herunter tragen ließ.
Welkende Blumen waren hässlicher als die schönen, das war für mich ganz eindeutig. Und wenn man sie nur wegwarf, hatte man wieder Platz, für eine neue Blume. Schließlich sind Blumen nicht teuer, und man möchte eben doch nur die hübschen unter ihnen im eigenes Haus stehen haben.
Sie hatte Blumen gemocht.
Sehr.
Sie hatte sie geliebt.
Aber es waren nicht die bunten, blühenden Blumen gewesen, die sie am meisten liebte.
Sondern die, die welkten.
Als die Blumenverkäuferin im Krankenhaus lag, stand ich immer noch am Blumenladen. Ich setzte mich auf einen Schemel, und starrte die welkende Blume an, die in der Mitte des Raumes auf einem Tischlein stand. Tischlein, das war es, weil es kein ganzer Tisch war. Aber nun einmal auch kein Hocker. Dinge waren nicht immer einfach einzuordnen. Ich dachte zum ersten mal darüber nach, dass welkende Blumen weder schön, noch hässlich waren.
Eigentlich waren sie nur ein bisschen verdorrt. Aber doch gar nicht so verschiedenen zu den blühenden. Den schönen.
Mein Kinn legte ich auf meine verschränkten Arme und beim anstarren pustete ich die Blume an, die da vor mir stand. Ein verdorrtes Blütenblatt riss sich los und segelte auf den Boden.
Ich war ziemlich erschrocken, als ich es sah. Denn um welkende Blumen sollte man sich kümmern, wenn man wollte, dass sie ihre Schönheit behielten.
Die Nichte der Blumenhändlerin schickte mich raus. Ich hatte lange genug hier herum gesessen, und die zeit wartete nicht. Der Zeit war kein Vorwurf zu machen. Sie wartete ja lang genug.
Bevor ich hinaus ging, goss ich die Blume.
Ich fand, dass sie sich irgendwie freute.
Auf Gräbern liegen Blumen.
Sie liegen da, bis sie welken.
Neue Blumen ersetzen die alten Blumen.
Die alten, die nimmt man weg.
Die alten, die sieht keiner an.
Nicht weil sie die Toten erschrecken, sondern die Lebenden.
Denn die Toten, die wissen wie es ist, zu welken.
Es war einmal, es ist gewesen, es wird nie mehr sein. Tränen fallen, Tränen singen. Sie weinen auch noch für sich selbst, wenn sie in der Erde versickern, und die Blumen gießen, die auf dem Grab liegen.
Ich wischte mir verstohlen mit dem Handrücken über die feuchten Augen, und musste feststellen, dass die alte Blumenverkäuferin damals viel schöner ausgesehen hatte, als jetzt.
Damals hatte sie noch gelächelt, damals war erst zwei Wochen her.
Jetzt lächelte sie nicht mehr. Anstelle ihres warmen Herzens stand da nun ein kalter Stein, der niemandem sagen konnte, wie schön sie gewesen war. Mit den falten, den müden Augen, und der fahlen Haut. Sie hatte der welkenden Blume in ihrem Blumenladen ziemlich ähnlich gesehen. Beide waren sie doch irgendwie schön gewesen. Schöner. Wunderschön.
Ich kniete mich neben die Lilie und starrte auf die Erde über dem noch recht frischen Grab.
Die Lilien waren weiß und strahlten regelrecht neben ihren verdorrten Vorgängern. Ich wollte schon die Hand ausstrecken, um die welkenden Blumen weg zu nehmen. Etwas fiel aus der trockenen Blüte in die Erde. Ich berührte es vorsichtig. Samen. Neues Leben. Sie fühlten sich alt und trocken an, und irgendwie doch viel wertvoller.
Ich ließ sie liegen, und die alte Blume auch. Da wo die Blumen welkten, würden sie zumindest ihre Kinder hinterlassen, und diese würden wachsen und gedeihen. Sie würden schön werden. Würden das Grab zieren. Und sobald diese wieder begannen zu welken, dann…ja, dann gäbe es neue Lilien. Die Blumenhändlerin hätte Blumen, denen sie beim wachsen zusehen konnte, ohnehin viel lieber gemocht, als die frischen, weißen Lilien, die nur dalagen um sie die welkenden zu verhöhnen.
Ich lächelte.
Und vermisste sie.
Irgendwie, dachte ich, hatte sie ja doch ganz gute Dinge gesagt, für eine Blumenhändlerin die eben in die Jahre gekommen war. Ich stand auf und ließ die welkenden Blumen zurück.
Zeit verging, und ließ Blumen welken, aber dafür kann man ihr keinen Vorwurf machen.
Es war einmal, es ist gewesen, es wird wieder sein.
Tick.
Tack.
Auf Gräbern liegen Blumen.
Sie liegen da, bis sie welken.
Neue Blumen ersetzen die alten Blumen.
Die alten, die nimmt man weg.
Die alten, die sieht keiner an.
Nicht weil sie die Toten erschrecken, sondern die Lebenden.
Denn die Toten, die wissen wie es ist, zu welken.
VS
Die Seiten in der Finsternis
(von Angoraschka - Gewinnergeschichte)
"Es gibt Menschen, die an logischen Dingen nicht interessiert sind. Zum Beispiel Geld. Man kann sie nicht kaufen, sie zur Vernunft bringen, oder mit ihnen verhandeln. Einige Menschen wollen die Welt einfach nur brennen sehen."
(von Angoraschka - Gewinnergeschichte)
"Es gibt Menschen, die an logischen Dingen nicht interessiert sind. Zum Beispiel Geld. Man kann sie nicht kaufen, sie zur Vernunft bringen, oder mit ihnen verhandeln. Einige Menschen wollen die Welt einfach nur brennen sehen."
Ich sah aufs Meer hinaus, kniff die Augen zusammen, um nicht von dem Licht geblendet zu werden, das die untergehende Sonne auf die wankenden Wasseroberfläche warf. Die Beerdigung war in vollem Gange, doch ich sah nur aus der Ferne zu, sah wie die Flammen gierig an dem nackten Holz empor züngelten und nach allem griffen, was sie in ihre zerstörerischen Finger bekamen. Das kleine Floß, auf dem ihr Leichnam lag, schaukelte sanft, so als ob es ein Kind in den Schlaf wiegen würde, ein Kind, das Angst vor der Dunkelheit hatte und voller Verzweiflung nach seiner Mutter rief.
Die Strömung spielte mit dem zusammen gebundenen Holzstämmen, zog sie weiter hinaus, während die Flammen nun dem Himmel entgegen strebten und das laute Knacken des brechenden Holzes bis zurück an den Strand drang. Jetzt war nichts mehr von der Person übrig, die mich aufgezogen hatte. Aufgezogen. War das das richtige Wort? Wie Knete hatte sie mich geformt und ihren Wünschen angepasst, ihren Zielen, die so hochtrabend waren und so zerstörerisch. Sie hatte mich zu ihrem Werkzeug gemacht und verlangt, dass mir das auch gefiel. Ich presste die Lippen fest auf einander und zog die Augenbrauen zusammen, um den Hass zu unterdrücken, der in mir aufstieg.
Weiter unten standen alle anderen. Leises Schluchzen drang zu mir hoch, doch es berührte mich nicht. Nichts berührte mich. All das hatte ich nun hinter mir gelassen. Es war vergangen. Sollten sie weiter heucheln, damit sie sich besser fühlten. Im Angesicht des Todes klammerten sie sich alle an die Illusion der Gemeinschaft. Als ob man die Einsamkeit einfach verscheuchten, wegschließen konnte, indem man die Augen schloss und sich sagte, dass sie eigentlich gar nicht da war, nur um dann bei der nächst besten Gelegenheit wieder über den anderen her zu fallen und alles aus ihm heraus zu saugen wie ein Parasit. Liebe, Glaube, Hoffnung, Geld, Güter und Macht. Es gab niemanden, der nichts von alle dem begehrte und nicht über Leichen ging, um es auch zu bekommen.
Ich wandte mich ab und stieg den sandigen Weg hinab bis ich wieder feste Straße unter den Füßen hatte. Dann setzte ich mich in ein heruntergekommenes Straßenlokal, schlug die Beine übereinander und zog eine Zigarette aus der Tasche meines schwarzen Jacketts. Während sich der Rauch über meinem Kopf verflüchtigte, dachte ich an das Buch. Nun da meine Mutter endlich tot war, wollte ich ihn verbrennen und von hier fort gehen, fort von dieser tristen Stadt. Ich wollte vergessen und alles der Vergänglichkeit anheim fallen lassen. All die Jahre der Lüge und des Hasses. Doch wo anfangen? Meine Gedanken gerieten zu wispernden Stimmen, denen ich nur halbherzig zuhörte. Die Trauergäste kamen vom Strand hoch und musterten mich verächtlich und feindselig. Ich lächelte ihnen schmal zu und zog an meiner Zigarette. Einige schüttelten den Kopf und murmelten ein paar Worte, die ich nicht verstand und die auch nicht an mich gerichtet waren. Auch wenn ich es war, über den sie sprachen. Ich blickte ihnen hinterher, wie sie von dannen zogen. Verächtlich drückte ich die Zigarette aus. Sie alle widerten mich an. Sie und ihre Tugenden und ihre Moral und ihr Anstand. Wenn es hart auf hart kam, dann warfen sie all das über Bord um mit unnachgiebiger Bosheit um ihr eigenes Leben zu kämpfen. Nächstenliebe, was für eine Farce.
Entschlossen stand ich auf, steckte die Hände in meine Hosentaschen und ging los. Der Roman. Mit seiner Vernichtung würde mein neues Leben beginnen. Ich würde ihn verbrennen und dann fort gehen. Die Straßen zogen an mir vorbei, ebenso wie die verhärmten und abgekämpften Gesichter ihrer Bewohner. Was brachte es sich ihre Gesichter zu merken? Sie alle würden vergehen, nichts blieb für immer. Selbst meine Mutter, die sich Unsterblichkeit sichern wollte mit den Texten, die sie schrieb, war schließlich zerfallen und all ihre Finsternis, die mich umklammert hatte, war ebenfalls vergangen.
Dennoch.
Da war immer noch ihre Stimme in meinem Kopf, die mir Wörter zuflüsterte und mich drängte weiter zu machen, das Werk zu vollenden. Das Werk, was sie mich gezwungen hatte zu beginnen.
Ich schloss die Haustür auf und ein modriger Geruch schlug mir entgegen. Übelkeit stieg in mir auf, wie jedes Mal, wenn ich diese Mauern betrat, die so lange mein Zuhause gewesen waren. Übelkeit und Angst.
„Sie ist tot“, sagte ich laut in den Flur, doch nichts regte sich. Die Schatten blieben Schatten und warteten auf den einen Moment, an dem ich unaufmerksam war und sie sich meiner bemächtigen konnten. Ich schlug die Haustür mit einem lauten Knall zu und ging geradewegs in das Wohnzimmer. Ich wollte es zu Ende bringen. Nichts sollte meinen Entschluss ins Wanken bringen. Ich trat vor den Tisch und sah auf die verhassten Blätter hinunter, die neben der alten Schreibmaschine lagen. Es waren viele hundert Seiten, die ich in den letzten Jahren geschrieben hatte. Mein Mutter hatte sie gelesen, sie korrigiert und dann hatte ich jedes Blatt, jeden Satz immer und immer wieder tippen müssen, so lange bis meine Finger bluteten und meine Augen von dem beißenden Geruch der Öllampe brannten. Ich schloss die Augen und wieder fühlte ich den Schmerz der Schläge und hörte die raue Stimme meiner Mutter, wenn sie es geschafft hatte zwischen den Hustenanfällen vollständige Sätze heraus zu würgen.
„Du bist nutzlos Martín. Ich will Sätze, die mich daran glauben lassen, was du da schreibst. Du sollst mich fesseln und mich zwingen weiter zu lesen, auf dass ich mich in der Finsternis der Seiten verlieren und deine Wort meine Religion werde, dein Hass meine Erlösung.“
Ich beschwor die Szene wieder herauf und fühlte nur die Abscheu, die ich empfunden hatte. Auf meine Mutter, die mich zu diesem Leben zwang und auf die Welt, weil sie mich im Stich gelassen hatte.
„Du bist wie ich Martín. Du weißt es nur noch nicht.“
Ich riss die Augen auf.
„Ich bin nicht wie du“, flüsterte ich in die Dunkelheit des Raumes. Das Blut gefror mir in den Adern, als ich ihr Lachen hörte, leise aus der Ecke, wo ihr Sessel gestanden hatte. Ich wich zurück, stieß gegen den Tisch. Mit einem Rauschen fielen die Blätter zu Boden. Meine Hände zitterte und ein Windstoß wirbelte die Blätter hoch. Zwischen ihnen meinte ich einen Umriss zu erkennen, die Gestalt meiner Mutter, die auf mich zu kam.
„Was willst du?“, schrie ich und versuchte den tobenden Wind zu übertönen, der sich durch das Fenster drückte und es auf und zu schlagen ließ. Stimmen erhoben sich. Ein Heulen und Toben. Die Schatten zitterten, sie fühlten, dass ihre Stunde gekommen war.
Schreib das Buch, Martín. Schreib von dem Hass, den du verbirgst. Ich kenne dich. Du bist wie ich.
„Nein. Lass mich in Ruhe“, schrie ich und schlug nach den Schemen, die nach mir griffen.
Sie haben dich alleine gelassen. Niemand war da um dir zu helfen, ist es nicht so? Ich konnte mit dir machen, was ich wollte. Der Welt bist du egal. Den Menschen bist du fremd. Und du weißt, dass jeder, der in dein Herz sieht, erkennt, dass nichts so unvergänglich ist wie der Hass und die Wut, die dich treibt. Was ist denn schon ihre Moral? Sie glauben sie folgen moralischen Prinzipien, doch wir beide, du und ich Martín, wir wissen, was sie sind: Sie sind Abschaum. Wir werden ihnen den Spiegel vorhalten und ihnen begreiflich machen, dass sie vergänglich und unwichtig sind. Wir werden ihnen ihre Vergänglichkeit zeigen. Du und ich.
Mein Herz zog sich zusammen vor Angst. Ich kauerte mich auf den Boden die Hände über dem Kopf. Ich wollte nur noch, dass sie verschwand. Sie und ihre Worte, die meine Sinne vergifteten. Und doch spürte ich die Kälte, die in meine Knochen drang. Mein Atem verwandelte sich in weißen Dunst. Ich zitterte. So wollte ich nicht sein. Ich wollte gut sein, so wie andere.
Doch dann dachte ich an die Gesichter der Menschen, die bei meinen Schreien bloß den Blick abgewendet hatten. Alle hatten gewusst, was meine Mutter mit mir gemacht hatte. Sie alle hatten die blauen Flecken gesehen, die blutigen Schrammen und die aufgeplatzten Lippen. Und sie hatten nichts getan. Wenn sie mir geholfen hätten, nur einer von ihnen hingesehen hätte. Sie waren an allem Schuld. Ich hasste sie. Ich hasste sie alle.
Plötzlich begriff ich, was ich tun musste und diese Gewissheit ließ mich lächeln. Ich würde das Buch nicht verbrennen. Ich würde das Verderben auf die Seiten bannen und den Menschen ihre eigene Vergänglichkeit deutliche machen. Nichts fürchtet die Welt so sehr wie ihr Ende. Sie alle würden es lesen und wenn sie begriffen, dass ihr Ende unausweichlich war, dann würden sie dem Wahnsinn anheim fallen, verfolgt von dem Verfall, den sie auf der Straße sahen. Sie würden werden wie ich und beginnen alles zu hassen.
Langsam und bedächtig sammelte ich die Blätter wieder auf und schloss das Fenster. Die leisen Stimmen, die in den verborgenen Ecken des Zimmers wisperten, hieß ich willkommen und lauschten den Wörtern, die sie mir zuflüsterten. Wörter voller Bosheit und Verderben. Wörter über die zermürbende Vergänglichkeit des Seins, an der alles Leben zerbrach.
Und so griff ich erneut zum Papier das gefrorene Lächeln immer noch auf dem Gesicht. Ich würde es schreiben. Das Buch, was sie immer gewollt hatte. Ich würde die Welt brennen lassen. Und dann würde ich mit unter gehen.
Die Strömung spielte mit dem zusammen gebundenen Holzstämmen, zog sie weiter hinaus, während die Flammen nun dem Himmel entgegen strebten und das laute Knacken des brechenden Holzes bis zurück an den Strand drang. Jetzt war nichts mehr von der Person übrig, die mich aufgezogen hatte. Aufgezogen. War das das richtige Wort? Wie Knete hatte sie mich geformt und ihren Wünschen angepasst, ihren Zielen, die so hochtrabend waren und so zerstörerisch. Sie hatte mich zu ihrem Werkzeug gemacht und verlangt, dass mir das auch gefiel. Ich presste die Lippen fest auf einander und zog die Augenbrauen zusammen, um den Hass zu unterdrücken, der in mir aufstieg.
Weiter unten standen alle anderen. Leises Schluchzen drang zu mir hoch, doch es berührte mich nicht. Nichts berührte mich. All das hatte ich nun hinter mir gelassen. Es war vergangen. Sollten sie weiter heucheln, damit sie sich besser fühlten. Im Angesicht des Todes klammerten sie sich alle an die Illusion der Gemeinschaft. Als ob man die Einsamkeit einfach verscheuchten, wegschließen konnte, indem man die Augen schloss und sich sagte, dass sie eigentlich gar nicht da war, nur um dann bei der nächst besten Gelegenheit wieder über den anderen her zu fallen und alles aus ihm heraus zu saugen wie ein Parasit. Liebe, Glaube, Hoffnung, Geld, Güter und Macht. Es gab niemanden, der nichts von alle dem begehrte und nicht über Leichen ging, um es auch zu bekommen.
Ich wandte mich ab und stieg den sandigen Weg hinab bis ich wieder feste Straße unter den Füßen hatte. Dann setzte ich mich in ein heruntergekommenes Straßenlokal, schlug die Beine übereinander und zog eine Zigarette aus der Tasche meines schwarzen Jacketts. Während sich der Rauch über meinem Kopf verflüchtigte, dachte ich an das Buch. Nun da meine Mutter endlich tot war, wollte ich ihn verbrennen und von hier fort gehen, fort von dieser tristen Stadt. Ich wollte vergessen und alles der Vergänglichkeit anheim fallen lassen. All die Jahre der Lüge und des Hasses. Doch wo anfangen? Meine Gedanken gerieten zu wispernden Stimmen, denen ich nur halbherzig zuhörte. Die Trauergäste kamen vom Strand hoch und musterten mich verächtlich und feindselig. Ich lächelte ihnen schmal zu und zog an meiner Zigarette. Einige schüttelten den Kopf und murmelten ein paar Worte, die ich nicht verstand und die auch nicht an mich gerichtet waren. Auch wenn ich es war, über den sie sprachen. Ich blickte ihnen hinterher, wie sie von dannen zogen. Verächtlich drückte ich die Zigarette aus. Sie alle widerten mich an. Sie und ihre Tugenden und ihre Moral und ihr Anstand. Wenn es hart auf hart kam, dann warfen sie all das über Bord um mit unnachgiebiger Bosheit um ihr eigenes Leben zu kämpfen. Nächstenliebe, was für eine Farce.
Entschlossen stand ich auf, steckte die Hände in meine Hosentaschen und ging los. Der Roman. Mit seiner Vernichtung würde mein neues Leben beginnen. Ich würde ihn verbrennen und dann fort gehen. Die Straßen zogen an mir vorbei, ebenso wie die verhärmten und abgekämpften Gesichter ihrer Bewohner. Was brachte es sich ihre Gesichter zu merken? Sie alle würden vergehen, nichts blieb für immer. Selbst meine Mutter, die sich Unsterblichkeit sichern wollte mit den Texten, die sie schrieb, war schließlich zerfallen und all ihre Finsternis, die mich umklammert hatte, war ebenfalls vergangen.
Dennoch.
Da war immer noch ihre Stimme in meinem Kopf, die mir Wörter zuflüsterte und mich drängte weiter zu machen, das Werk zu vollenden. Das Werk, was sie mich gezwungen hatte zu beginnen.
Ich schloss die Haustür auf und ein modriger Geruch schlug mir entgegen. Übelkeit stieg in mir auf, wie jedes Mal, wenn ich diese Mauern betrat, die so lange mein Zuhause gewesen waren. Übelkeit und Angst.
„Sie ist tot“, sagte ich laut in den Flur, doch nichts regte sich. Die Schatten blieben Schatten und warteten auf den einen Moment, an dem ich unaufmerksam war und sie sich meiner bemächtigen konnten. Ich schlug die Haustür mit einem lauten Knall zu und ging geradewegs in das Wohnzimmer. Ich wollte es zu Ende bringen. Nichts sollte meinen Entschluss ins Wanken bringen. Ich trat vor den Tisch und sah auf die verhassten Blätter hinunter, die neben der alten Schreibmaschine lagen. Es waren viele hundert Seiten, die ich in den letzten Jahren geschrieben hatte. Mein Mutter hatte sie gelesen, sie korrigiert und dann hatte ich jedes Blatt, jeden Satz immer und immer wieder tippen müssen, so lange bis meine Finger bluteten und meine Augen von dem beißenden Geruch der Öllampe brannten. Ich schloss die Augen und wieder fühlte ich den Schmerz der Schläge und hörte die raue Stimme meiner Mutter, wenn sie es geschafft hatte zwischen den Hustenanfällen vollständige Sätze heraus zu würgen.
„Du bist nutzlos Martín. Ich will Sätze, die mich daran glauben lassen, was du da schreibst. Du sollst mich fesseln und mich zwingen weiter zu lesen, auf dass ich mich in der Finsternis der Seiten verlieren und deine Wort meine Religion werde, dein Hass meine Erlösung.“
Ich beschwor die Szene wieder herauf und fühlte nur die Abscheu, die ich empfunden hatte. Auf meine Mutter, die mich zu diesem Leben zwang und auf die Welt, weil sie mich im Stich gelassen hatte.
„Du bist wie ich Martín. Du weißt es nur noch nicht.“
Ich riss die Augen auf.
„Ich bin nicht wie du“, flüsterte ich in die Dunkelheit des Raumes. Das Blut gefror mir in den Adern, als ich ihr Lachen hörte, leise aus der Ecke, wo ihr Sessel gestanden hatte. Ich wich zurück, stieß gegen den Tisch. Mit einem Rauschen fielen die Blätter zu Boden. Meine Hände zitterte und ein Windstoß wirbelte die Blätter hoch. Zwischen ihnen meinte ich einen Umriss zu erkennen, die Gestalt meiner Mutter, die auf mich zu kam.
„Was willst du?“, schrie ich und versuchte den tobenden Wind zu übertönen, der sich durch das Fenster drückte und es auf und zu schlagen ließ. Stimmen erhoben sich. Ein Heulen und Toben. Die Schatten zitterten, sie fühlten, dass ihre Stunde gekommen war.
Schreib das Buch, Martín. Schreib von dem Hass, den du verbirgst. Ich kenne dich. Du bist wie ich.
„Nein. Lass mich in Ruhe“, schrie ich und schlug nach den Schemen, die nach mir griffen.
Sie haben dich alleine gelassen. Niemand war da um dir zu helfen, ist es nicht so? Ich konnte mit dir machen, was ich wollte. Der Welt bist du egal. Den Menschen bist du fremd. Und du weißt, dass jeder, der in dein Herz sieht, erkennt, dass nichts so unvergänglich ist wie der Hass und die Wut, die dich treibt. Was ist denn schon ihre Moral? Sie glauben sie folgen moralischen Prinzipien, doch wir beide, du und ich Martín, wir wissen, was sie sind: Sie sind Abschaum. Wir werden ihnen den Spiegel vorhalten und ihnen begreiflich machen, dass sie vergänglich und unwichtig sind. Wir werden ihnen ihre Vergänglichkeit zeigen. Du und ich.
Mein Herz zog sich zusammen vor Angst. Ich kauerte mich auf den Boden die Hände über dem Kopf. Ich wollte nur noch, dass sie verschwand. Sie und ihre Worte, die meine Sinne vergifteten. Und doch spürte ich die Kälte, die in meine Knochen drang. Mein Atem verwandelte sich in weißen Dunst. Ich zitterte. So wollte ich nicht sein. Ich wollte gut sein, so wie andere.
Doch dann dachte ich an die Gesichter der Menschen, die bei meinen Schreien bloß den Blick abgewendet hatten. Alle hatten gewusst, was meine Mutter mit mir gemacht hatte. Sie alle hatten die blauen Flecken gesehen, die blutigen Schrammen und die aufgeplatzten Lippen. Und sie hatten nichts getan. Wenn sie mir geholfen hätten, nur einer von ihnen hingesehen hätte. Sie waren an allem Schuld. Ich hasste sie. Ich hasste sie alle.
Plötzlich begriff ich, was ich tun musste und diese Gewissheit ließ mich lächeln. Ich würde das Buch nicht verbrennen. Ich würde das Verderben auf die Seiten bannen und den Menschen ihre eigene Vergänglichkeit deutliche machen. Nichts fürchtet die Welt so sehr wie ihr Ende. Sie alle würden es lesen und wenn sie begriffen, dass ihr Ende unausweichlich war, dann würden sie dem Wahnsinn anheim fallen, verfolgt von dem Verfall, den sie auf der Straße sahen. Sie würden werden wie ich und beginnen alles zu hassen.
Langsam und bedächtig sammelte ich die Blätter wieder auf und schloss das Fenster. Die leisen Stimmen, die in den verborgenen Ecken des Zimmers wisperten, hieß ich willkommen und lauschten den Wörtern, die sie mir zuflüsterten. Wörter voller Bosheit und Verderben. Wörter über die zermürbende Vergänglichkeit des Seins, an der alles Leben zerbrach.
Und so griff ich erneut zum Papier das gefrorene Lächeln immer noch auf dem Gesicht. Ich würde es schreiben. Das Buch, was sie immer gewollt hatte. Ich würde die Welt brennen lassen. Und dann würde ich mit unter gehen.
"Es gibt Menschen, die an logischen Dingen nicht interessiert sind. Zum Beispiel Geld. Man kann sie nicht kaufen, sie zur Vernunft bringen, oder mit ihnen verhandeln. Einige Menschen wollen die Welt einfach nur brennen sehen."