Der Einlass-Computer summte leise. Das konnte um diese Zeit eigentlich nur bedeuten, dass Lincoln sie bereits zum Dienst abholen wollte. Jane warf einen Blick auf ihre altmodische Wanduhr, die noch mit Zeigern ausgestattet war. Sie hatte das Ding von ihren Eltern geerbt und hing deshalb sehr daran.
„Lincoln Schneider an der Eingangstür“, meldete der Einlass-Computer. „Eingreifen ist erforderlich.“
„Ist ja schon gut“, murmelte Jane und ging zur Tür.
„Ich komme sofort, Lincoln“, sprach sie ins Mikrophon. „Du kannst im Gleiter warten.“
Sie griff schnell nach ihren Waffen und steckte sie ein, schloss ihre Dienstkombination und öffnete die Tür.
„Sicherheitsmodus!“, rief sie dem elektronischen Wachsystem zu und zog dann die schwere Tür hinter sich zu. Die Sicherheitsbolzen der Türverriegelung rasteten hörbar ein und das Wachsystem verwandelte Janes Wohnung in eine kleine Festung. Das System war teuer gewesen, doch hatte sie noch nie Probleme mit Einbrüchen gehabt.
Vor der Tür wartete ihr Kollege in seinem Gleiter und trommelte nervös auf den Armaturen herum.
„Jane, wir sind schon spät dran“, mahnte er vorwurfsvoll. „Du kennst doch den Verkehr in der Innenstadt um diese Zeit.“
Jane setzte sich in die Sitzschale auf der Beifahrerseite und ließ die Flügeltür des Gleiters zuschnappen.
„Tut mir Leid“, sagte sie. „Ich habe die Zeit vollkommen vergessen. Aber du wirst es schon schaffen.“
Sie lächelte ihn von der Seite an. Sie kannte Lincoln. Im Grunde liebte er es, seinen Gleiter unter Zeitdruck durch den dichten Verkehr zu schlängeln. Nicht umsonst besaß er einen Sportgleiter.
„Deine Laune scheint wieder besser zu sein“, stellte er fest, als er die Turbine auf volle Leistung brachte.
„Ich habe endlich mal wieder gut geschlafen“, sagte sie. „Von mir aus kann heute ruhig ein interessanter Auftrag kommen.“
„Vorsichtig mit solchen Wünschen!“, mahnte Lincoln. „Sie könnten in Erfüllung gehen.“
Jane lachte leise. Die Fahrt zur PROTEC-Zentrale dauerte eine knappe halbe Stunde und Lincoln bot all sein Können auf und sicherlich schimpften etliche der anderen Fahrer über seine haarsträubende Manöver. Jane blickte aus dem Fenster und sah in einer Seitenstraße eine Einheit der Stadtpolizei, die sich eine Schießerei mit einer der Drogenbanden lieferte. Ein Stück weiter war die Feuerwehr dabei, ein paar brennende Fahrzeuge zu löschen. Ein Ambulanzgleiter wurde mit schwerverletzten Menschen beladen.
„Ich nehme eine Abkürzung durch den Scientologen-Bereich im Plebs-Viertel“, schlug Lincoln vor. „Dort dürfte es um diese Zeit noch nicht so voll sein.“
Mit atemberaubender Geschwindigkeit rasten sie durch die engen Straßenschluchten dieses Viertels, das normale Bürger für gewöhnlich mieden. Selbst die Stadtpolizei wagte sich nur in gepanzerten Gleitern hierher. Ein wiederholtes scharfes Klacken war zu hören.
„Schüsse“, stellte Jane fest. „Sie reagieren verdammt schnell, das muss man ihnen lassen.“
Lincoln grinste.
„Sportgleiter sind eben begehrt“, sagte er. „Woher sollen sie auch wissen, dass meiner komplett gepanzert ist?
„Vorsicht!“, rief Jane und zeigte nach vorn. „Sie spannen ein Netz!“
„Bist du angeschnallt?“, fragte Lincoln. „Jetzt wird es etwas holprig.“
Mit den Seitensteuerdüsen versetzte er den Gleiter in eine Drehung und ließ ihn dann mit voller Geschwindigkeit rückwärts auf das Netz prallen. Vorher zu stoppen wäre ihm sowieso nicht mehr gelungen. Als sie den Aufprall spürten, aktivierte Lincoln den Nachbrenner seines Antriebes, den er normalerweise in der Innenstadt nicht einsetzen durfte. Die glühend heißen Abgase seiner Turbine ließen das Netz innerhalb einer Sekunde in Flammen aufgehen und es riss in kleine Fetzen. Durch den Schwung getrieben, flog der Gleiter durch das zerstörte Hindernis hindurch, drehte erneut und flog unbehelligt weiter. Einige wütende Schüsse kratzten noch über ihren Lack, doch dann war es vorbei.
„Warum tust du dir so was eigentlich an?“, fragte Jane.
Lincoln lachte nur.
„Vielleicht brauche ich das Adrenalin am frühen Morgen.“
Einige Minuten später erreichten sie die PROTEC-Zentrale und parkten ihr Fahrzeug in der Tiefgarage ihrer Dienststelle.
Ted Merrick, ihr Chef, erwartete sie bereits im Büro.
„Da sind Sie ja endlich“, empfing er die beiden, als sie aus dem Aufzug stiegen. „Kommen Sie bitte sofort mit in mein Büro.“
Jane und Lincoln blickten sich fragend an. Was gab es seit ihrer Besprechung denn schon wieder Neues? Schweigend folgten sie Merrick.
„Nehmen Sie Platz“, forderte er sie auf. „Sie waren gestern mit bei der Besprechung, nicht wahr?“, fragte er, doch er erwartete nicht wirklich eine Antwort darauf. „Wir hatten noch lange Gespräche geführt, nachdem ich Sie alle nach Hause geschickt hatte. Die Regierung hat bezüglich der TimeJumper.com vor, einen äußerst harten Kurs zu fahren. Sie haben ja bereits mitbekommen, dass ich da nicht ohne Weiteres mitspielen will. Allerdings können wir uns nicht sperren, wenn es Anhaltspunkte gibt, dass die bisherigen Vermutungen der Wahrheit entsprechen. Wir haben uns jetzt darauf geeinigt, dass wir unsere Arbeit in verschiedene Stufen aufteilen werden.“
Merrick lehnte sich in seinem Sessel zurück und machte eine kleine Pause.
„In Stufe eins wird ein Team von uns TimeJumper.com aufsuchen und genau ermitteln, was sich dort abspielt. Wir werden es Ihnen als eine Art Betriebsprüfung verkaufen.“
„Warum erzählen Sie uns das eigentlich, Chef?“, fragte Jane.
„Hatte ich das nicht erwähnt?“, fragte Merrick. „Das müssen Sie entschuldigen. Ich hatte heute Nacht unseren Computer befragt, wer überhaupt für einen solchen Einsatz in Frage kommt. Wir stellen uns vor, dass sich ein bestimmtes Team so in den Fall einarbeitet, dass es alle Stufen des Programms durchführen oder zumindest begleiten kann. Die Wahl des Computers fiel auf Sie beide. Sowohl vom Ausbildungsstand als auch vom psychologischen Profil her sind Sie einfach perfekt. Sie werden mit sofortiger Wirkung von allen übrigen Aufgaben entbunden und werden sich ausschließlich nur noch mit TimeJumper.com befassen.“
„Und wie stellen Sie sich das vor?“, wollte Lincoln wissen. „Wir können schlecht mit unseren PROTEC-Ausweisen dort herumwedeln und erwarten, dass man uns erzählt, was wir wissen wollen.“
Merrick lachte laut auf.
„Da haben Sie wohl recht, Mr. Schneider“, sagte er. „Aus diesem Grunde erhalten Sie auch alle Ausweise und Unterlagen, die Sie als Mitarbeiter von SecuTec, der Behörde für technische Sicherheit, ausweisen. Ihr Job dort ist undercover. Die Regierung hat bereits veranlasst, dass SecuTec eine komplette Überprüfung von TimeJumper.com angekündigt hat. Dagegen können sie sich nicht wehren. Das sollte Ihnen Tür und Tor öffnen.“
„Was ist dann Stufe zwei?“, fragte Jane. „Angenommen, wir finden etwas heraus.“
Merrick wurde mit einem Mal ernst.
„Stufe zwei ist etwas heikel“, sagte er, „denn Stufe zwei beinhaltet eine Reise durch die Zeit.“
„Wie bitte?“, fragten Lincoln und Jane wie aus einem Munde.
„Sie haben richtig verstanden. Stufe zwei bedeutet, dass Agenten von PROTEC sich einer Zeitreise unterziehen müssen, um uns zu schützen. Ich hatte gehofft, dass ich Sie beide auch für diesen Job gewinnen kann. Ich kann Sie allerdings nicht zu einer solchen Maßnahme zwingen, wenn Sie das nicht wollen. Ich bin mir bewusst, dass es weit über das Maß dessen, was ich anordnen kann, hinausgeht.“
Lincoln schüttelte den Kopf.
„Ohne mich, Chef“, sagte er. „Ich werde auf gar keinen Fall mit dieser Höllenmaschine in die Vergangenheit reisen. Das kommt überhaupt nicht in Frage.“
Jane sah ihren Partner fragend von der Seite an.
„Was wäre denn das Besondere an einer solchen Zeitreise?“, fragte sie. „Ich denke, es wäre inzwischen eine Routineangelegenheit.“
„Das ist es normalerweise auch“, bestätigte Merrick. „Nur nicht in diesem speziellen Fall. Ich kann Mr. Schneider absolut verstehen, wenn er es nicht will. Es ist nämlich aller Voraussicht nach eine Reise ohne Wiederkehr.“
„Ohne Wiederkehr?“, fragte Jane. „Aber wieso …?“
„Ganz einfach“, sagte Merrick. „Stufe zwei bedeutet, dass jemand sich aufmacht, um die Gründer von TimeJumper.com, das damals noch TimeHacker.com hieß, aufzusuchen und sie mit den Folgen ihres Tuns zu konfrontieren. Was glauben Sie, wird geschehen, wenn sich die Gründerinnen entschließen, die Zeitreisetechnologie nicht einzusetzen? Es würde dann hier und heute kein TimeJumper.com geben, zu dem Sie zurückkehren könnten und niemand könnte absehen, was dann mit Ihnen passiert. Vielleicht wären sie gezwungen, sich in die Vergangenheit einzuleben, vielleicht würden Sie auch - zusammen mit so einigem in dieser Welt - verschwinden. Ich will ehrlich sein, Jane. Sie sind jung und unglaublich fähig. Sie haben keine Angehörigen und sind nicht liiert. Sie wären perfekt geeignet für diesen Job.“
Jane sah Merrick schweigend an. Es war ihr nicht anzusehen, was in ihr vorging. Lincoln blickte sie entsetzt an.
„Jane!“, rief er. „Denk nicht einmal darüber nach! Das ist eine Reise ohne Rückkehr!“
„Was wäre, wenn sich die Gründerinnen nicht von den Fakten, die ich mitbringen würde, überzeugen ließen?“, fragte sie schließlich.
„Das ist dann die Stufe drei. Dann werden Sie ermächtigt, das Problem nach eigenem Ermessen zu lösen“, sagte Merrick hart. „Die Regierung hat keinen Zweifel daran gelassen, was sie erwartet. Stufe eins ist etwas, das ich ihnen abtrotzen konnte, doch letztlich wollen sie um jeden Preis, dass die Zeitreisen aufhören. Sie wollen keine Einzelheiten erfahren, aber sie wollen das Resultat.“
„Das bedeutet im Klartext, dass ich sie liquidieren soll, wenn es nicht anders geht?“
„Ja.“
„Jane!“, rief Lincoln wieder. „Du musst das nicht machen! Wir sind eine Spezialeinheit, aber wir sind keine Killer. Es kann doch nicht dein Ernst sein, auf Nimmerwiedersehen in der Vergangenheit zu verschwinden und dort eine Reihe von Menschen zu töten, die du nicht einmal kennst. Das ist krank!“
„Merrick hat recht“, sagte Jane leise. „Jemand muss es tun, um die Welt zu schützen. Ich weiß, dass ich es kann und ich habe nun mal wirklich keine Angehörigen hier. Da ist es wohl an mir, dieses Opfer zu bringen.“
„Jane, du bist meine Partnerin“, sagte Lincoln. „Ich weiß, das ist nicht dasselbe wie Angehörige, aber wir gehören doch trotzdem zusammen. Wir werden hier und jetzt gebraucht. Ich möchte dich nicht verlieren – nicht so!“
Merrick ließ sie gewähren und mischte sich nicht ein, beobachtete jedoch weiter.
Jane erhob sich und ging zu Lincoln hinüber. Sanft griff sie ihm in die vollen Haare.
„Lincoln, ich weiß, dass du dir manchmal mehr erhofft hast, als nur mein Partner bei PROTEC zu sein, aber das hätte doch sowieso nie funktioniert! Dazu sind wir zu sehr Profis. Ich würde es zwar gern sehen, wenn wir es als Team durchstehen würden, aber ich kann dich auch verstehen, wenn du nicht in die Vergangenheit reisen willst. Ich werde es tun, Lincoln. Ich werde die Reise antreten und dafür sorgen, dass ihr hier alle wieder in Frieden leben könnt.“
An Merrick gewandt, sagte sie: „Ich bin dabei, Chef.“
Dieser nickte.
„Danke“, sagte er. „Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen. Zunächst aber führen Sie Ihre Recherchen direkt bei TimeJumper.com durch. Das machen Sie noch als Team. Melden Sie sich bitte gleich im Ausrüstungsbüro, wo man Ihnen alle Unterlagen von SecuTec geben wird und eine Einweisung in die üblichen Tätigkeiten von dieser Firma, damit man bei TimeJumper.com nicht misstrauisch wird.“
Merrick verabschiedete die beiden, die schweigend sein Büro verließen.
„Warum tust du das?“, fragte Lincoln auf dem Weg zum Ausrüstungsbüro. „Das ist doch Wahnsinn!“
„Das verstehst Du nicht“, sagte Jane. „Ich muss es einfach tun."
„Aber du bist keine Mörderin. Die Regierung verlangt von dir, unschuldige Menschen umzubringen.“
„So, wie ich es verstehe, sind sie nicht unschuldig“, sagte sie. „Schau dir doch unsere Welt an!“
„Verdammt noch mal“, ereiferte sich Lincoln. „Du kannst doch nicht eine Schuld in Menschen projizieren, deren Handeln Jahrhunderte später negative Folgen hat. Da ist doch etwas falsch in deinem Denken. Aus meiner Sicht nimmst du eine Schuld auf dich, wenn du das tust.“
Jane zuckte mit den Schultern.
„Mein Entschluss steht fest“, sagte sie. „Aber, wenn es dich beruhigt: Ich werde natürlich erst versuchen, diese Leute zu überzeugen und zu überreden. Vielleicht braucht Stufe drei überhaupt nicht einzutreten.“
„Wollen wir es hoffen“, sagte Lincoln matt.
Sie hatten das Ausrüstungsbüro erreicht.
„Lincoln Schneider an der Eingangstür“, meldete der Einlass-Computer. „Eingreifen ist erforderlich.“
„Ist ja schon gut“, murmelte Jane und ging zur Tür.
„Ich komme sofort, Lincoln“, sprach sie ins Mikrophon. „Du kannst im Gleiter warten.“
Sie griff schnell nach ihren Waffen und steckte sie ein, schloss ihre Dienstkombination und öffnete die Tür.
„Sicherheitsmodus!“, rief sie dem elektronischen Wachsystem zu und zog dann die schwere Tür hinter sich zu. Die Sicherheitsbolzen der Türverriegelung rasteten hörbar ein und das Wachsystem verwandelte Janes Wohnung in eine kleine Festung. Das System war teuer gewesen, doch hatte sie noch nie Probleme mit Einbrüchen gehabt.
Vor der Tür wartete ihr Kollege in seinem Gleiter und trommelte nervös auf den Armaturen herum.
„Jane, wir sind schon spät dran“, mahnte er vorwurfsvoll. „Du kennst doch den Verkehr in der Innenstadt um diese Zeit.“
Jane setzte sich in die Sitzschale auf der Beifahrerseite und ließ die Flügeltür des Gleiters zuschnappen.
„Tut mir Leid“, sagte sie. „Ich habe die Zeit vollkommen vergessen. Aber du wirst es schon schaffen.“
Sie lächelte ihn von der Seite an. Sie kannte Lincoln. Im Grunde liebte er es, seinen Gleiter unter Zeitdruck durch den dichten Verkehr zu schlängeln. Nicht umsonst besaß er einen Sportgleiter.
„Deine Laune scheint wieder besser zu sein“, stellte er fest, als er die Turbine auf volle Leistung brachte.
„Ich habe endlich mal wieder gut geschlafen“, sagte sie. „Von mir aus kann heute ruhig ein interessanter Auftrag kommen.“
„Vorsichtig mit solchen Wünschen!“, mahnte Lincoln. „Sie könnten in Erfüllung gehen.“
Jane lachte leise. Die Fahrt zur PROTEC-Zentrale dauerte eine knappe halbe Stunde und Lincoln bot all sein Können auf und sicherlich schimpften etliche der anderen Fahrer über seine haarsträubende Manöver. Jane blickte aus dem Fenster und sah in einer Seitenstraße eine Einheit der Stadtpolizei, die sich eine Schießerei mit einer der Drogenbanden lieferte. Ein Stück weiter war die Feuerwehr dabei, ein paar brennende Fahrzeuge zu löschen. Ein Ambulanzgleiter wurde mit schwerverletzten Menschen beladen.
„Ich nehme eine Abkürzung durch den Scientologen-Bereich im Plebs-Viertel“, schlug Lincoln vor. „Dort dürfte es um diese Zeit noch nicht so voll sein.“
Mit atemberaubender Geschwindigkeit rasten sie durch die engen Straßenschluchten dieses Viertels, das normale Bürger für gewöhnlich mieden. Selbst die Stadtpolizei wagte sich nur in gepanzerten Gleitern hierher. Ein wiederholtes scharfes Klacken war zu hören.
„Schüsse“, stellte Jane fest. „Sie reagieren verdammt schnell, das muss man ihnen lassen.“
Lincoln grinste.
„Sportgleiter sind eben begehrt“, sagte er. „Woher sollen sie auch wissen, dass meiner komplett gepanzert ist?
„Vorsicht!“, rief Jane und zeigte nach vorn. „Sie spannen ein Netz!“
„Bist du angeschnallt?“, fragte Lincoln. „Jetzt wird es etwas holprig.“
Mit den Seitensteuerdüsen versetzte er den Gleiter in eine Drehung und ließ ihn dann mit voller Geschwindigkeit rückwärts auf das Netz prallen. Vorher zu stoppen wäre ihm sowieso nicht mehr gelungen. Als sie den Aufprall spürten, aktivierte Lincoln den Nachbrenner seines Antriebes, den er normalerweise in der Innenstadt nicht einsetzen durfte. Die glühend heißen Abgase seiner Turbine ließen das Netz innerhalb einer Sekunde in Flammen aufgehen und es riss in kleine Fetzen. Durch den Schwung getrieben, flog der Gleiter durch das zerstörte Hindernis hindurch, drehte erneut und flog unbehelligt weiter. Einige wütende Schüsse kratzten noch über ihren Lack, doch dann war es vorbei.
„Warum tust du dir so was eigentlich an?“, fragte Jane.
Lincoln lachte nur.
„Vielleicht brauche ich das Adrenalin am frühen Morgen.“
Einige Minuten später erreichten sie die PROTEC-Zentrale und parkten ihr Fahrzeug in der Tiefgarage ihrer Dienststelle.
Ted Merrick, ihr Chef, erwartete sie bereits im Büro.
„Da sind Sie ja endlich“, empfing er die beiden, als sie aus dem Aufzug stiegen. „Kommen Sie bitte sofort mit in mein Büro.“
Jane und Lincoln blickten sich fragend an. Was gab es seit ihrer Besprechung denn schon wieder Neues? Schweigend folgten sie Merrick.
„Nehmen Sie Platz“, forderte er sie auf. „Sie waren gestern mit bei der Besprechung, nicht wahr?“, fragte er, doch er erwartete nicht wirklich eine Antwort darauf. „Wir hatten noch lange Gespräche geführt, nachdem ich Sie alle nach Hause geschickt hatte. Die Regierung hat bezüglich der TimeJumper.com vor, einen äußerst harten Kurs zu fahren. Sie haben ja bereits mitbekommen, dass ich da nicht ohne Weiteres mitspielen will. Allerdings können wir uns nicht sperren, wenn es Anhaltspunkte gibt, dass die bisherigen Vermutungen der Wahrheit entsprechen. Wir haben uns jetzt darauf geeinigt, dass wir unsere Arbeit in verschiedene Stufen aufteilen werden.“
Merrick lehnte sich in seinem Sessel zurück und machte eine kleine Pause.
„In Stufe eins wird ein Team von uns TimeJumper.com aufsuchen und genau ermitteln, was sich dort abspielt. Wir werden es Ihnen als eine Art Betriebsprüfung verkaufen.“
„Warum erzählen Sie uns das eigentlich, Chef?“, fragte Jane.
„Hatte ich das nicht erwähnt?“, fragte Merrick. „Das müssen Sie entschuldigen. Ich hatte heute Nacht unseren Computer befragt, wer überhaupt für einen solchen Einsatz in Frage kommt. Wir stellen uns vor, dass sich ein bestimmtes Team so in den Fall einarbeitet, dass es alle Stufen des Programms durchführen oder zumindest begleiten kann. Die Wahl des Computers fiel auf Sie beide. Sowohl vom Ausbildungsstand als auch vom psychologischen Profil her sind Sie einfach perfekt. Sie werden mit sofortiger Wirkung von allen übrigen Aufgaben entbunden und werden sich ausschließlich nur noch mit TimeJumper.com befassen.“
„Und wie stellen Sie sich das vor?“, wollte Lincoln wissen. „Wir können schlecht mit unseren PROTEC-Ausweisen dort herumwedeln und erwarten, dass man uns erzählt, was wir wissen wollen.“
Merrick lachte laut auf.
„Da haben Sie wohl recht, Mr. Schneider“, sagte er. „Aus diesem Grunde erhalten Sie auch alle Ausweise und Unterlagen, die Sie als Mitarbeiter von SecuTec, der Behörde für technische Sicherheit, ausweisen. Ihr Job dort ist undercover. Die Regierung hat bereits veranlasst, dass SecuTec eine komplette Überprüfung von TimeJumper.com angekündigt hat. Dagegen können sie sich nicht wehren. Das sollte Ihnen Tür und Tor öffnen.“
„Was ist dann Stufe zwei?“, fragte Jane. „Angenommen, wir finden etwas heraus.“
Merrick wurde mit einem Mal ernst.
„Stufe zwei ist etwas heikel“, sagte er, „denn Stufe zwei beinhaltet eine Reise durch die Zeit.“
„Wie bitte?“, fragten Lincoln und Jane wie aus einem Munde.
„Sie haben richtig verstanden. Stufe zwei bedeutet, dass Agenten von PROTEC sich einer Zeitreise unterziehen müssen, um uns zu schützen. Ich hatte gehofft, dass ich Sie beide auch für diesen Job gewinnen kann. Ich kann Sie allerdings nicht zu einer solchen Maßnahme zwingen, wenn Sie das nicht wollen. Ich bin mir bewusst, dass es weit über das Maß dessen, was ich anordnen kann, hinausgeht.“
Lincoln schüttelte den Kopf.
„Ohne mich, Chef“, sagte er. „Ich werde auf gar keinen Fall mit dieser Höllenmaschine in die Vergangenheit reisen. Das kommt überhaupt nicht in Frage.“
Jane sah ihren Partner fragend von der Seite an.
„Was wäre denn das Besondere an einer solchen Zeitreise?“, fragte sie. „Ich denke, es wäre inzwischen eine Routineangelegenheit.“
„Das ist es normalerweise auch“, bestätigte Merrick. „Nur nicht in diesem speziellen Fall. Ich kann Mr. Schneider absolut verstehen, wenn er es nicht will. Es ist nämlich aller Voraussicht nach eine Reise ohne Wiederkehr.“
„Ohne Wiederkehr?“, fragte Jane. „Aber wieso …?“
„Ganz einfach“, sagte Merrick. „Stufe zwei bedeutet, dass jemand sich aufmacht, um die Gründer von TimeJumper.com, das damals noch TimeHacker.com hieß, aufzusuchen und sie mit den Folgen ihres Tuns zu konfrontieren. Was glauben Sie, wird geschehen, wenn sich die Gründerinnen entschließen, die Zeitreisetechnologie nicht einzusetzen? Es würde dann hier und heute kein TimeJumper.com geben, zu dem Sie zurückkehren könnten und niemand könnte absehen, was dann mit Ihnen passiert. Vielleicht wären sie gezwungen, sich in die Vergangenheit einzuleben, vielleicht würden Sie auch - zusammen mit so einigem in dieser Welt - verschwinden. Ich will ehrlich sein, Jane. Sie sind jung und unglaublich fähig. Sie haben keine Angehörigen und sind nicht liiert. Sie wären perfekt geeignet für diesen Job.“
Jane sah Merrick schweigend an. Es war ihr nicht anzusehen, was in ihr vorging. Lincoln blickte sie entsetzt an.
„Jane!“, rief er. „Denk nicht einmal darüber nach! Das ist eine Reise ohne Rückkehr!“
„Was wäre, wenn sich die Gründerinnen nicht von den Fakten, die ich mitbringen würde, überzeugen ließen?“, fragte sie schließlich.
„Das ist dann die Stufe drei. Dann werden Sie ermächtigt, das Problem nach eigenem Ermessen zu lösen“, sagte Merrick hart. „Die Regierung hat keinen Zweifel daran gelassen, was sie erwartet. Stufe eins ist etwas, das ich ihnen abtrotzen konnte, doch letztlich wollen sie um jeden Preis, dass die Zeitreisen aufhören. Sie wollen keine Einzelheiten erfahren, aber sie wollen das Resultat.“
„Das bedeutet im Klartext, dass ich sie liquidieren soll, wenn es nicht anders geht?“
„Ja.“
„Jane!“, rief Lincoln wieder. „Du musst das nicht machen! Wir sind eine Spezialeinheit, aber wir sind keine Killer. Es kann doch nicht dein Ernst sein, auf Nimmerwiedersehen in der Vergangenheit zu verschwinden und dort eine Reihe von Menschen zu töten, die du nicht einmal kennst. Das ist krank!“
„Merrick hat recht“, sagte Jane leise. „Jemand muss es tun, um die Welt zu schützen. Ich weiß, dass ich es kann und ich habe nun mal wirklich keine Angehörigen hier. Da ist es wohl an mir, dieses Opfer zu bringen.“
„Jane, du bist meine Partnerin“, sagte Lincoln. „Ich weiß, das ist nicht dasselbe wie Angehörige, aber wir gehören doch trotzdem zusammen. Wir werden hier und jetzt gebraucht. Ich möchte dich nicht verlieren – nicht so!“
Merrick ließ sie gewähren und mischte sich nicht ein, beobachtete jedoch weiter.
Jane erhob sich und ging zu Lincoln hinüber. Sanft griff sie ihm in die vollen Haare.
„Lincoln, ich weiß, dass du dir manchmal mehr erhofft hast, als nur mein Partner bei PROTEC zu sein, aber das hätte doch sowieso nie funktioniert! Dazu sind wir zu sehr Profis. Ich würde es zwar gern sehen, wenn wir es als Team durchstehen würden, aber ich kann dich auch verstehen, wenn du nicht in die Vergangenheit reisen willst. Ich werde es tun, Lincoln. Ich werde die Reise antreten und dafür sorgen, dass ihr hier alle wieder in Frieden leben könnt.“
An Merrick gewandt, sagte sie: „Ich bin dabei, Chef.“
Dieser nickte.
„Danke“, sagte er. „Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen. Zunächst aber führen Sie Ihre Recherchen direkt bei TimeJumper.com durch. Das machen Sie noch als Team. Melden Sie sich bitte gleich im Ausrüstungsbüro, wo man Ihnen alle Unterlagen von SecuTec geben wird und eine Einweisung in die üblichen Tätigkeiten von dieser Firma, damit man bei TimeJumper.com nicht misstrauisch wird.“
Merrick verabschiedete die beiden, die schweigend sein Büro verließen.
„Warum tust du das?“, fragte Lincoln auf dem Weg zum Ausrüstungsbüro. „Das ist doch Wahnsinn!“
„Das verstehst Du nicht“, sagte Jane. „Ich muss es einfach tun."
„Aber du bist keine Mörderin. Die Regierung verlangt von dir, unschuldige Menschen umzubringen.“
„So, wie ich es verstehe, sind sie nicht unschuldig“, sagte sie. „Schau dir doch unsere Welt an!“
„Verdammt noch mal“, ereiferte sich Lincoln. „Du kannst doch nicht eine Schuld in Menschen projizieren, deren Handeln Jahrhunderte später negative Folgen hat. Da ist doch etwas falsch in deinem Denken. Aus meiner Sicht nimmst du eine Schuld auf dich, wenn du das tust.“
Jane zuckte mit den Schultern.
„Mein Entschluss steht fest“, sagte sie. „Aber, wenn es dich beruhigt: Ich werde natürlich erst versuchen, diese Leute zu überzeugen und zu überreden. Vielleicht braucht Stufe drei überhaupt nicht einzutreten.“
„Wollen wir es hoffen“, sagte Lincoln matt.
Sie hatten das Ausrüstungsbüro erreicht.