Pooly's Kunst und Schreibforum

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    Über die Wirkung von Büchern

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    Über die Wirkung von Büchern Empty Über die Wirkung von Büchern

    Beitrag von captaincow So 12 Jun 2011, 15:28

    Vorwort:


    ÜBER DIE WIRKUNG VON BÜCHERN

    Bücher sind schon seit langem Begleiter der Menschen. Früher nur gelehrten Menschen vorbehalten, findet man heute viele Menschen in Deutschland, die lesen. Im Zeitalter des World Wide Web und der E-Books begegnet man noch immer Menschen, die ihre Nase in ein Buch gesteckt haben und deren Augen wie wahnsinnig über die Zeilen fliegen. Auf die Frage, warum diese Menschen denn lesen, würde man wahrscheinlich viele Antworten bekommen: Zur Ablenkung von dem stressigen Alltag, zum Zeitvertreib auf langen Zugfahrten, um sich über geschichtliche Ereignisse zu informieren, um mal in das Leben eines anderen zu schnuppern oder weil es einfach Spaß macht und nicht mehr wegzudenken ist. Viele Menschen haben womöglich nicht einmal einen konkreten Grund, warum das geschriebene Wort einen Teil ihres täglichen Lebens bildet.

    Der deutsch-jüdische Schriftsteller Franz Kafka fand dagegen auf diese Frage eine recht deutliche Antwort. „Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns“, schrieb er in einem Brief an Oskar Pollak. Ein Satz, der zunächst gewaltig klingt. Die Metapher des gefrorenen Meeres steht für die verstummten Hoffnungen, Träume und Gefühle eines Menschen, während die Axt auf Befreiung dieser hindeutet.
    Auf den zweiten Blick jedoch stellt man sich Fragen. Kafka geht davon aus, dass Bücher Literatur sind. Es gibt jedoch auch andere Arten von Büchern; wissenschaftliche zum Beispiel, die wohl weniger Gefühle in uns erregen. Hat denn überhaupt jeder Mensch solch ein gefrorenes Meer in sich? Muss Literatur außerdem zwingend das sein – etwas Gewalttätiges, Brutales? Denn eine Axt beschreibt auch Zerstörung. Außerdem denkt man sich, was diese Axt nun gegen ein weites, gefrorenes Meer ausrichten soll. Sie hinterlässt wohl nichts als eine Delle oder bestenfalls ein Loch darin, befreit das Meer aber nicht von der Eisschicht.

    Als wären das nicht schon genug Fragen, wirft der Abschnitt des Briefs, in dem er genauer auf diesen Satz eingeht, noch mehr Widersprüche auf: „Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben.“
    Doch wer würde diese selbst geschriebenen Bücher dann lesen, wenn glückliche Geschichten überflüssig sind? Ist es wirklich so verwerflich, ein Buch zum Vergnügen zu lesen oder sich mit Literatur zu beschäftigen, die eine breitere Palette von Gefühlen abdeckt?

    Wer Kafkas Werke kennt, weiß, dass er keine einfache, eingängige Literatur schreibt und Widersprüche schon fast zu seinem Stil gehören. Dennoch ist seine Meinung zu dem Nutzen von Büchern sehr radikal – und nicht auf eine Masse von Menschen anzuwenden. Es gibt nun mal Menschen, die aus anderen Gründen lesen. Es wäre nicht sinnvoll, diese zum Lesen einer bestimmten Art von Literatur zu zwingen, denn dann hätten die gelesenen Bücher nicht die erwünschte Durchschlagskraft.

    Der Empfänger dieses Briefs war Oskar Pollak, der Kafkas engster Freund zu dieser Zeit war. Kafkas Brief deutet darauf hin, dass Oskar Pollak anderer Meinung war als er und auch Bücher las, die glücklich machten. Es wäre dennoch sehr interessant zu wissen, wie Pollak auf diesen Brief reagierte.

    Ich an seiner Stelle hätte folgendermaßen geantwortet:
    Bücher müssen nicht unbedingt glücklich machen, doch sie müssen einem auch nicht auf brutalste Art und Weise die Augen öffnen. Würden das alle Bücher tun, wäre es eintönig und man hätte keine Abwechslung mehr, könnte sie also auch nicht mehr unterschiedlich bewerten und verschieden wahrnehmen.
    Literatur muss für mich nicht einfach und eine Ablenkung sein, denn ich mag auch tiefgründige Bücher, die einen nach dem Lesen mit aufgewühlten Gedanken zurücklassen und die einen prägen. Dennoch ist das Lesen ein Hobby für mich und wenn Bücher die Wirkung einer Axt auf mich haben müssten, hätte ich womöglich mit dem Lesen längst aufgehört. Ich kann kein Buch nennen, das einen derartigen Einfluss auf mich hatte, denn ich denke, dass das Meer in mir noch nicht genug Zeit hatte, um einzufrieren.
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    Über die Wirkung von Büchern Empty Re: Über die Wirkung von Büchern

    Beitrag von Shira Mi 15 Jun 2011, 16:15

    Hey captaincow,

    ein sehr interessantes Thema, dass du hier aufgreifst. Ein Schulaufsatz, sagst du? ICh wünschte, unser Lehrer würde das mal machen...

    Deine Einleitung halte ich für sehr gelungen. Auch der nächste Teil ist sehr gut ausgearbeitet und führt ohne Umschweife auf das Thema zu. Was ich allerdings für nicht so sehr gelungen halte, sind Sätze oder Einschübe wie "Außerdem denkt man sich...". Tut man das denn? Oder bist das nicht eher du, der das denkt? Ich persönlich versuche sowieso immer, meine eigenen Gedanken in so einen Text einzubringen. Wenn überhaupt, dann nur im Schlussteil. Hier würde ich mir definitiv eine andere Formulierung suchen oder es gar ganz weglassen. "Man mag vielleicht denken" ist schließlich auch nicht so der Brüller.

    Auch halte ich die Deutung von Kafkas Worten fast schon etwas knapp. Ich persönlich hätte da noch einiges mehr zu sagen. Auch stimme ich deiner Deutung gegenüber nicht ganz überein, aber das ist schließlich Ansichtssache.

    Was mir noch auffiel, war, dass eine Axt bestimmt keine "Delle" hinterlässt. Einen Kratzer wohl eher, aber doch keine Delle ;-)

    Ansonsten ein interessanter TExt, der zum Nachdenken einläd. Ich werde mir den Satz Kafkas gleich mal aufschreiben, wir nehmen seine Bücher nächstes Halbjahr durch. Da kann ich ja dann gleich mal ein bisschen plaudern.

    LG Shira
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    Über die Wirkung von Büchern Empty Re: Über die Wirkung von Büchern

    Beitrag von captaincow Mi 15 Jun 2011, 18:55

    Hallo Shira,

    ja, so etwas sollten wir für die Schule schreiben. Eigentlich über ein Buch, das auf uns eine solche Wirkung hatte, aber das ging für mich mit diesem Zitat nicht. Ich weiß nicht, ich finde es einfach zu radikal.
    Dass ich es nicht ausführlicher analysiert habe, liegt daran, dass wir das im Unterricht schon ausgiebigst getan hatten und unser Lehrer meinte, dass es nicht nötig sei, noch viel weiter darauf einzugehen - deshalb kommt dieser Teil etwas kürzer.

    Was ich allerdings für nicht so sehr gelungen halte, sind Sätze oder Einschübe wie "Außerdem denkt man sich...". Tut man das denn? Oder bist das nicht eher du, der das denkt?

    Nun ja, meine Gedanken sind im Schlussteil ziemlich klar eingebracht. Und die Aufgabe sollte ja einen persönlichen Bezug haben - zudem, nein, ich bin nicht die einzige, die das denkt, denn ich habe vorher mit einigen Leuten über dieses Zitat gesprochen und habe dann alle Meinungen zu einer zusammen gewurschtelt.

    Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, Delle ist schon passend - wenn man mit voller Wucht in eine ziemlich dick gefrorene Eisfläche hineinhaut, kommt doch schon etwas anderes als ein Kratzer heraus. Zumindest denke ich, dass die Bewegung, um einen Kratzer zu erzeugen, eine andere ist als ein Axtschlag.

    Vielen Dank für deine Rückmeldung - es freut mich, dass dir der Text ansonsten gut gefallen hat und vielleicht bringt dir das Zitat ja nächstes Jahr wirklich etwas :] Wär auf jeden Fall sehr praktisch.

    Liebe Grüße,
    Hannah
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    Über die Wirkung von Büchern Empty Re: Über die Wirkung von Büchern

    Beitrag von Pooly Di 06 März 2012, 16:39

    Hallo Hannah,

    es ist zwar schon eine ganze Weile her, dass du deinen Text hier gepostet hast, aber ich habe ihn gerade durch Zufall wieder entdeckt und fand das Thema so interessant, dass ich ihn direkt gelesen habe. Das Zitat ist ja sehr interessant, das kannte ich bisher noch gar nicht, aber ich denke, es bietet wirklich viel Stoff zum Diskutieren, deine Gedanken dazu haben mir gefallen und im Großen und Ganzen kann ich dir wohl zustimmen. Es kommt immer auf den Menschen an, der das Buch liest, denke ich und auch auf die Situation, in der er sich befindet. Nicht jedes Buch muss etwas im Leser zerbrechen oder freilegen, ich würde nicht einmal sagen, dass wirklich jedes Buch eine neue, bedeutende Erkenntnis erhalten muss. Für mich können Bücher auch einfach nur Freude, Entspannung oder Unterhaltung bedeuten, selbst wenn mir ab und an eben auch nach bedeutenden, verändernden Büchern der Sinn steht, aber das auch wirklich nicht immer.

    Von daher kann ich beide Sichtweisen verstehen. Einerseits sind für mich die wirklich guten Bücher tatsächlich die, die mein gefrorenes Meer mal wieder etwas in Wallung bringen und mir eine vollkommen neue Sichtweise auf mein Denken vermitteln und mich irgendwie umkrempeln. Aber solche Bücher gibt es selten und ich stelle es mir auch unheimlich anstrengend vor, nur so etwas zu lesen.

    Ein sehr interessantes Thema, auf jeden Fall, danke für deinen Text! :)

    Liebe Grüße,
    Marie

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