"Guten Abend, Christopher O'Conell", begrüßte ihn ein weiblich aussehender Roboter, der ihm die Tür öffnete. "Sie werden bereits im Wohnzimmer von Mrs. und Mr. O'Conell erwartet. Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?"
Christopher musterte den Roboter, der wie eine gewöhnliche Menschenfrau aussah, abschätzend. Ihr fielen dunkle, braune Locken über den Rücken und sie hatte lange, schöne Beine. Ihre Lippen waren wohlgeformt und auch die Nase war von einer perfekten Anmut. In ihrem Gesicht zeigte sich ein freundliches Lächeln. Der einzige Hinweis auf ihre Abstammung waren die, in einer elegant verschlungenen Schrift, eingebrannten Buchstaben >Sharlady 0079< an ihrem Hals.
„Ein Glas Champagner für mich, bitte“, antwortete er und sofort machte sie sich auf den Weg in die Küche, um seinem als Bitte verkleideten Befehl Folge zu leisten. Währenddessen ging er in das Wohnzimmer, wo ihm seine Mutter um den Hals fiel.
„Christopher! Ach, wie sehr habe ich dich vermisst. Du warst schon so lange nicht mehr bei uns! Wie geht's dir, mein Schatz? Komm her, lass dich drücken.“ Sie fasste ihn an den Schultern und musterte ihn berührt, dann ließ sie matt lächelnd von ihm ab.
Sein Blick wanderte durch den Raum.
Auf einem viereckigen Tisch stand ein Kirschkuchen. Rechts und links von ihm jeweils eine rote Kerze. Es war für drei gedeckt. Am Rand des Tisches befand sich in einem Bilderrahmen ein Foto von seinem älteren Bruder. James war an diesem Tag nicht nur als vermisst gemeldet worden, er hatte auch Geburtstag gehabt.
„Wie ich sehe, haben wir einen neuen Roboter“, stellte Christopher fest.
„Oh ja, sie ist viel besser als Cocoshoalln 4949!“, sagte sie begeistert nickend. „Im Gegensatz zu ihm hat sie, abgesehen von den zusätzlichen Standards, auch noch gewisse Extras einprogrammiert bekommen. Cocoshoalln war gut, aber nicht so gut. Außerdem war er alt.“ Bei dem Wort 'alt' huschte ein schmerzlicher Ausdruck über ihr Gesicht. „Ich habe ihn löschen lassen.“
„Oh“, meinte Christopher nur, wenig berührt.
Abgenutzte Roboter kamen nach Widesider, wo sie endgültig vernichtet wurden. Es gab inzwischen so viele Neue auf dem Markt, dass die Alten kaum noch gebraucht wurden.
„Und mein Junge, wie läuft's bei der Arbeit so?“, mischte sich sein Vater mit seiner tiefen Stimme ein.
„Es läuft gut. Wirklich gut“, erwiderte Christopher etwas halbherzig. Er hatte keine Lust auf diese Zeremonie, die sie auf Wunsch seiner Mutter jedes Jahr veranstalteten. Er hatte alles versucht, um sich das alles gut zu reden, aber es nützte nichts.
„Das freut uns zu hören!“, sagte seine Mutter, klang aber nicht wirklich begeistert. Ein trauriges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Ich hab uns einen Kirschkuchen gemacht. Ich weiß, ich weiß, Sharlady 0079 hätte ihn auch zubereiten können, aber ich wollte ihn selbst machen. Es ist mein Geschenk für James.“ Sie schluckte und seufzte leise, als sie auf ihren Stuhl Platz nahm und in das Flackern der Kerze starrte. „All die Jahre …", sagte sie leise. "Wenn wir nur sicher wüssten, dass er tot ist, dann könnten wir endlich Frieden schließen. Aber so ist nur diese grausame Ungewissheit …“ Nun war ihre Stimme tonlos und ihr Gesicht wurde aschfahl.
Christopher sagte nichts. Er wusste, dass sie schon wieder seit Tagen darüber nachgedacht hatte. Obwohl das Verschwinden seines Bruders nun schon 19 Jahre her war, konnte seine Mutter nicht loslassen - und er auch nicht. Aber das sagte er nie so offen. Und er hasste es, dass sie jedes Jahr seinen Geburtstag feiern wollte.
Er und sein Vater setzten sich an den Tisch. Eine Klaviermusik spielte im Hintergrund. Beethoven. Sein Bruder hatte klassische Musik geliebt.
Christopher schluckte seinen Kloß, den er im Hals verspürte, herunter.
Mr O'Conell schnitt den Kuchen in kleine Stücke und verteilte sie auf die Teller.
Obwohl die Musik spielte, kam ihm der Raum totenstill vor.
Er hasste es. Er hasste diese Treffen. Jedes Jahr dasselbe. Das machte doch nichts besser! Nein, das war nicht gut - für keinen von ihnen.
Christopher schob seinen Stuhl zurück und sah seine Eltern an, die etwas verwundert schienen.
"Entschuldigt mich", sagte er dann hastig, erhob sich rasch und eilte nach draußen.
Zuletzt von Lea am Fr 04 Sep 2009, 21:02 bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet