Die Zeit verging, für ihren Geschmack, viel zu schnell, denn kaum hatte sie die Augen geschlossen und gefühlte ein bis zwei Minuten geschlafen, da legte Lincoln schon eine Hand auf ihre Schulter und sagte sanft: "Jane, wir müssen ... "
"Ich habe doch nicht einmal zwei Minuten die Augen geschlossen ...", murmelte Jane ein wenig erschöpft.
"Nein, es war eine Viertelstunde, meine Liebe ... "
Jane konnte sich Lincolns Lächeln auf den Lippen genau vorstellen.
Schlecht gelaunt öffnete sie die Augen und rappelte sich auf.
Warum konnte sie nicht einfach nach Hause gehen und in ihrem eigenen Bett schlafen? Die Zeiten waren ohnehin schon unmenschlich genug - warum also dann mitten in der Nacht eine Alpha-Order, derer sie sich nicht einmal entziehen könnten, selbst wenn sie es gewollt hätten?! Das war ein eindeutiger Nachteil an diesem Job.
Sie stiegen am Flugplatz des PROTEC-Reviers aus.
Heute war wieder einmal einer der Nächte, in der sie die Menschen beneidete, die unten an der Spiegelfassade vorbeigingen und nur die gläserne, schmale Wand sahen, die in schwindelerregende Höhen reichte.
Sie hingegen blickte müde über die Dächer hinweg und sah die Gleiterparkplätze, die beinahe auf jedem Wolkenkratzer thronten.
Einzelhäuser waren nur noch den Adligen und Regierungsbeamten vorbehalten. Die anderen Menschen wurden zwar in modernen, aber kleinen Appartments zusammengepfercht. Eine Wohnung über der anderen. Ein Haus reihte sich an das nächste. Das Leben in dieser Zeit war die Hölle. Wenn einer von diesen Wahnsinnigen ein Attentat beging, erwischte es gleich Tausende und nicht mehr, wie vor dreihundert Jahren, „nur“ eine Handvoll. Die Dimensionen dieser Attentate wurden immer unvorstellbarer. Würde Jane es nicht mit eigenen Augen sehen - sie würde es wohl auch nicht glauben oder verdrängen, wie die einfachen Menschen, dort unten auf der Straße.
Die Agentin sah Lichter, viele unterschiedlich kolorierte Punkte in der Nacht, die den Planeten so beleuchten mussten, dass die Raumfahrer und die Umsiedler im All sich an einen Sternenhimmel mitten auf der Erde erinnert fühlen mussten.
Lincoln war bereits vorausgegangen und sie löste sich von dem Bild, dass sich ihr bot. Jane schloss mit schnellen Schritten zu ihrem Partner auf. Die Schiebetüren des Schnellaufzuges schlossen sich mit einem leisen Geräusch und dann, innerhalb von kürzester Zeit, hielten sie in dem Stockwerk, das Lincoln vorher angewählt hatte.
„Weisen sie sich aus!“, sagte Pedro, ein Mexikaner in ihrer Abteilung.
„Was soll der Scheiß, Pedro?“, fragte Jane, während sie genervt mit den Augen rollte.
„Anweisung von ganz oben!“
Die Agentin dachte sich ihren Teil zu „ganz oben“. Mürrisch zog Jane ihre Marke heraus, zeigte sie Pedro, um dann den abhörsicheren Raum zu betreten. Das war der Saal in dem die Besprechungen der "PROTEC" stattfanden, um ihre Alpha-Ordern zu verlautbaren. Ein Zimmer, das aussah, als wäre es einer Schule vor dreihundert Jahren entsprungen. Tische standen aneinander gereiht und je nach Rang setzte man sich ganz nach vorn, in die Mitte oder eben weit nach hinten.
Da Jane zu der ausführenden Abteilung der PROTEC gehörte, durfte sie sich in die erste Reihe zu ihrer persönlichen Fünf-Personen-Armee setzen.
In der letzten Reihe saßen die BüSe (die Bürohengste/-stuten und die Sekretäre/Innen), die dafür verantwortlich waren, die Berichte zu sortieren, Anträge von gefährdeten Institutionen anzunehmen und die Aufgaben an die Spezialagenten weiterzuleiten.
Jane hatte nicht einmal Zeit gehabt sich nach dem Einsatz zu duschen - völlig verschmutzt und mit zerzaustem Haar saß sie hier und ihren Teammitgliedern erging es dabei nicht besser.
Mit jeder Sekunde wurde dieser Saal voller und einige von diesen ... Personen ... hätte sie am liebsten getreten, denn sie beschwerten sich, wieso man sie zu diesen unmenschlichen Zeiten aus dem Bett beordert hatte. Einer recht jungen Frau zischte sie zu: „Es gibt Leute, die haben noch gar nicht geschlafen!“
Lincoln flüsterte ihr zu: „Lass doch deine schlechte Laune nicht an denen aus! Die können genauso wenig dafür wie wir …“
Jane überlegte, ob sie ihm noch eine passende Antwort geben sollte, doch letztendlich zog sie den Frieden und das Koffein vor: "Wir haben noch eine Menge Zeit. Wie wärs, Lincoln? Wenn wir schon den Luxus von Schlaf nicht haben dürfen, will ich wenigstens Kaffee um diese Sitzung durchzustehen. Wollen wir uns einen holen?"
Zuletzt von Teleri am So 04 Jul 2010, 15:05 bearbeitet; insgesamt 7-mal bearbeitet