Ebene 3 - (1) moriazwo
Jane Link hatte schon Stunden hier in diesem kleinen Speicherraum verbracht. Leise machte sie ein paar Übungen, die verhindern sollten, dass ihre Arme und Beine einschliefen. Konzentriert blickte sie immer wieder in die dunkle, ehemalige Werkshalle hinein. Für jeden normalen Betrachter wäre die Halle stockfinster gewesen, doch Jane trug eine Spezialbrille mit extremer Restlichtverstärkung. Für sie sah es aus, als wäre die Halle taghell erleuchtet.
Sie hasste diese nächtlichen Einsätze. Konnten sich kriminelle Gruppen nicht zu normalen Zeiten treffen, so wie andere Menschen auch? Offenbar nicht.
„Wie sieht es bei euch aus?“, flüsterte sie leise.
Sie konnte sich sicher sein, dass ihr Übermittlungssystem diese Frage direkt auf das Innenohr ihres Kollegen übertrug. Ebenso wie sie, trugen auch ihre Kollegen einen solchen Mikroempfänger. So miteinander verknüpft, war es kein Problem, auch größere Aktionen gut organisiert durchzuführen.
Jane gehörte der Spezialeinheit PROTEC an, die vor wenigen Jahren auf Betreiben der Regierung ins Leben gerufen wurde, um ein Instrument zu besitzen, das geeignet war, die immer häufiger auftretenden Unruhen und Übergriffe von privaten Milizen und extremistischen Untergrundgruppen zu bekämpfen. Es war kein einfacher Job und Jane hatte hart kämpfen müssen, um in dieser Elitetruppe Fuß zu fassen. Es hatte ihr nichts ausgemacht, dass ihr Einsatz sie zu einer Einzelgängerin gemacht hatte, da sie auch früher schon nicht einfach Anschluss an andere Menschen gefunden hatte. Für Jane war der Job einer Agentin der PROTEC einfach ideal.
„Ich habe etwas gesehen“, ertönte es in ihrem Ohr.
Ihr Kollege Lincoln Schneider - einer der wenigen Männer im Team - hatte sich gemeldet. Jane musste lächeln. Sie arbeitete gern mit Lincoln zusammen. Sie wussten beide, dass sie sich blind aufeinander verlassen konnten. Es hatte eine Zeit gegeben, da waren sie sich auch menschlich näher gekommen, doch nach einer kurzen Episode hatten sie sich darauf geeinigt, dass sie ihre Beziehung lieber nur auf eine berufliche Basis stellen wollten.
„Was hast du gesehen?“, fragte sie vorsichtig zurück und tastete automatisch nach ihrer Laserwaffe.
„Es nähern sich einige kleine Prallfeldgleiter. Jane, ich glaube, diesmal bekommen wir sie.“
„Sei nicht zu siegessicher“, gab sie zurück. „Sie sind nicht dumm. PROTEC hat schon zwei Teams an sie verloren, vergiss das nicht.“
„Wie könnte ich nur?“, fragte Lincoln. „Betäubungsmunition?“
„Bist du verrückt?“, fragte Jane. „Ich gehe kein Risiko ein. Unser Team verliert PROTEC nicht, das garantiere ich dir.“
Ein leises Lachen ertönte in Janes Ohr.
„So mag ich meine Jane.“
„Ich bin nicht deine Jane“, antwortete Jane, „Wir waren uns einig ...“
„Du weißt genau, wie ich das meine“, sagte Lincoln. „Okay – sie sind da. Die Gleiter kommen direkt in die Halle. Ich schalte jetzt sämtliche Aufnahmegeräte ein. Diesmal sind sie reif.“
Jane starrte angestrengt in die Halle. Vollkommen lautlos glitten vier Prallfeldgleiter in die alte Werkshallenruine hinein. Sie hatten die Frontscheinwerfer ausgeschaltet. Allein das zeigte ihr, dass die Insassen dieser Fahrzeuge nicht die Absicht hatten, Aufsehen zu erregen.
Jane fühlte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Ihr Jagdfieber war erwacht.
Schon seit vielen Wochen waren sie damit beschäftigt gewesen, die Treffpunkte dieser Gruppe zu ermitteln. Sie nannte sich selbst die Underground Army und so verhielten sie sich auch. Unzählige Anschläge auf öffentliche Einrichtungen und Freizeitanlagen gingen auf ihr Konto. Sie waren absolut skrupellos und schienen Zugang zu Waffen zu haben, die auch größere Objekte zerstören konnten. Vor einigen Monaten hatte die Underground Army in einem Sportstadion eine Neutronenbombe mit lokal begrenztem Wirkungsgrad gezündet. Das Stadion war voll besetzt gewesen. Jane wurde noch immer von dem Bild verfolgt, das sich ihr geboten hatte, als sie mit einer Gruppe von PROTEC-Agenten dort erschienen war, um die Ermittlungen aufzunehmen. Tausende von Leichen, die dort herumgelegen hatten und in der Bevölkerung war eine Panik von ungeheuren Ausmaßen entstanden. Die Regierung hatte schnell reagiert und die gesamte Aufklärung und Verfolgung des Falles in die Hände von PROTEC gelegt.
Jane biss die Zähne zusammen. Sie war zu allem entschlossen. Sobald sichergestellt war, dass alle Verdächtigen vollzählig versammelt waren, würden Lincoln und sie dafür sorgen, dass sich so etwas, wie in dem Stadion, nicht wiederholen würde.
Inzwischen waren die Insassen der Gleiter ausgestiegen. Einige von ihnen trugen dunkle Tarnkleidung und verteilten sich strategisch rund um die Fahrzeuggruppe. Mit ihren Laserwaffen sicherten sie in alle Richtungen. Offenbar hatten sie noch keinen Verdacht geschöpft. Die Rasterkameras arbeiteten ununterbrochen und scannten ein Gesicht nach dem anderen. Über die Innenseite ihrer Brille konnte sie ständig den aktuellen Stand der Personenidentifikation ablesen.
Plötzlich kam Bewegung in die Gruppe. Einer der Sicherheitsleute hielt ein Instrument hoch. Offenbar hatte er eine der Spezialkameras entdeckt. Blitzschnell sprangen sie in die Gleiter.
„Verdammt!“, fluchte Jane und drückte ein paar Tasten an ihrer Kommunikationseinheit. Dadurch aktivierte sie die Lasergitter, die sie bereits am Vortag installiert und vorbereitet hatten, um im Notfall verhindern zu können, dass ihre Zielpersonen entkommen konnten. Der erste der Gleiter konnte nicht mehr rechtzeitig reagieren und fuhr mit voller Kraft in die Lasergitter, die ihn knisternd in Streifen schnitten. Die Antriebszelle wurde beschädigt und verwandelte den Gleiter in einen kleinen Feuerball.
Die Kühlung ihres Anzugs lief auf Hochtouren, als die Hitze der Explosion bis zu Janes Versteck durchschlug.
Die anderen Gleiter stoppten rechtzeitig und ihre Luken öffneten sich. Die Insassen der Fahrzeuge begannen, wild in alle Richtungen zu feuern, wobei sie schwerste Waffen einsetzten. Sie wussten, dass sie in der Falle saßen, doch machten sie deutlich, dass sie nicht ans Aufgeben denken würden. Einige der Schüsse verfehlten ihr Versteck nur knapp.
„Bist du in Ordnung?“, fragte Jane ihren Kollegen.
„Ja“, kam es gequält zurück. „Sie haben mich nur knapp verfehlt. Ich glaube aber nicht, dass sie uns wirklich entdeckt haben.“
Jane drückte auf ihre Kom-Einrichtung und aktivierte die Außenlautsprecher.
„Geben Sie auf!“, forderte die Agentin und ihre Stimme dröhnte durch die Werkshalle.
Als Antwort feuerten die Leute der Underground Army auf die Lautsprecher und brachten sie zum Schweigen. Dann ging alles ganz schnell. Einer der Eingeschlossenen ortete mit einem Spezialscanner die Herkunft der Funksignale und deutete in ihre Richtung. Jane zögerte keine Sekunde und stieß die Tür ihres Verstecks auf. Mit einem riesigen Satz sprang sie heraus und rollte sich über den Boden ab. Keine Sekunde zu früh, denn schon schlugen mehrere Laserbahnen dort ein, wo sie noch einen Augenblick vorher gestanden hatte. Bereits im Flug hatte sie ihre eigene Laserwaffe gezogen und aktiviert.
Sie blieb in ständiger Bewegung und feuerte eine Salve nach der anderen auf die Fahrzeuge. Lincoln gab ihr von der anderen Seite her Feuerschutz und beschäftigte die Verbrecher von hinten. Nach nur wenigen Augenblicken waren die Gleiter unbrauchbar und brannten. Die Underground Army verteilte sich in der Halle und versuchte, bei Jane einen entscheidenden Treffer zu landen. Jane war jedoch eine gut ausgebildete PROTEC-Agentin und wusste, wie sie sich verhalten musste, um nicht getroffen zu werden. Ein Gegner nach dem anderen wurde ausgeschaltet, bis schließlich nur noch einer übrig blieb.
Lincoln und Jane verließen ihre Deckung und näherten sich dem letzten ihrer Gegner.
„Lassen Sie die Waffe fallen!“, forderte Jane. „Es ist nicht notwendig, dass wir auch Sie noch töten.“
Der Mann starrte sie mit wirrem Blick an.
„Ich bin doch sowieso schon tot“, sagte er. Mit einer schnellen Bewegung hielt er sich seine eigene Laserwaffe an die Schläfe und drückte ab. Lautlos brach er zusammen und rührte sich nicht mehr.
Jane und Lincoln sahen sich an.
„Immer diese verdammten Kurzschlusshandlungen“, sagte Lincoln. „Ich hätte liebend gern einmal einen dieser Leute in einem Verhörraum gehabt.“
„Meinst du, ich nicht?“, fragte Jane. „Aber so ist das bei diesen Fanatikern eben. Lass uns gehen. Aufräumen sollen hier andere. Ich rufe das Spurensuchkommando.“
Sie warteten noch auf ihre Kollegen und übergaben den Ort in ihre Obhut, dann machten sie sich auf den Weg.
Lincoln hatte einen Gleiter in der Nähe geparkt. Jane stieg auf der Beifahrerseite ein und lehnte sich zurück.
„Ich bin hundemüde“, sagte sie. „Bitte fahr mich nach Hause, ja? Den Bericht kann ich auch morgen noch schreiben. Jetzt brauche ich nur bloß meine Duschzelle und ein paar Stunden Schlaf.“
Sie sah aus dem Seitenfenster und bemerkte hin und wieder ausgebrannte oder brennende Gleiter, die am Straßenrand standen. Es machte ihr schmerzhaft klar, dass es nicht nur die Underground Army gab. Die Stadt wimmelte vor Banden und Kriminellen. War es nur ein Gefühl, oder war es in den vergangenen Jahren immer nur noch schlimmer geworden? Sie wusste es nicht.
Ein Ruf über ihren Spezialempfänger ließ sie aufschrecken. Lincoln war ebenfalls zusammengezuckt, also hatte auch er es gehört.
„Hier PROTEC-Zentrale. Dies ist eine Alpha-Order. Alle Agenten haben sich innerhalb der nächsten zwei Stunden in der Zentrale einzufinden. Ich wiederhole …“
„Scheiße!“, entfuhr es Jane und sie schlug mit der Faust auf das Armaturenbrett. „Geht dieses Theater immer so weiter? Ich will endlich ein paar Stunden schlafen!“
Lincoln zuckte mit den Schultern.
„Daraus wird wohl erst einmal nichts werden“, sagte er. „Es wird wahrscheinlich am besten sein, wenn wir sofort zur Zentrale fahre.“
„Kann sein“, sagte Jane verärgert. „Weck mich, wenn wir dort sind.“
Sie kippte ihren Sitz etwas zurück und schloss die Augen. Die nächsten Minuten würden ihr – und nur ihr - gehören.
Zuletzt von moriazwo am Mi 30 Jun 2010, 09:39 bearbeitet; insgesamt 4-mal bearbeitet