Hallo und herzlich Willkommen in der Arena!
Wir beginnen heute das 27. Story-Battle und die Kontrahenten stehen bereits Ring!
Das Thema ihrer Kurzgeschichten lautete: Geheimnisse ^^
Das Publikum darf bis zum 23. Februar entscheiden, wer zum Sieger gekürt werden soll :)
Und hier folgen nun die beiden Geschichten.
Nackte Tatsachen
(von Goldstaub)
Langsam strecke ich die Hand nach meinem Glas Wodka aus, den Blick stur auf die Bar gerichtet, auf der zwei junge Frauen mit nackten Körpern tanzen. Die Blöße nur schwach bedeckt. Ab und an sieht man sie frieren in diesem Hauch von Nichts. Ich nehme einen großen Schluck aus dem Glas und betrachte das Mädchen in der Nähe von mir. Ihre hellbraunen Haare reichen ihr bis zum Po und schlingen sich genüsslich um ihren Körper, während sie sich zur Musik bewegt. Ihre Schenkel berühren die kalte Stange und ihr Gesichtsausdruck sagt aus, dass sie nicht ganz bei sich ist. Auch die anderen Frauen sehen ziemlich weggetreten aus und verrichten ohne wenn und aber ihren Job. Die niveaulosen Männer in diesem Schuppen starren sie an und wedeln mit ihren Geldscheinen umher. Die Frauen schieben sie sich ungeniert in die Slips und halten ihnen im Gegenzug ihre Brüste ins Gesicht. Als ich dabei so zusehe, schäme ich mich. Ich schäme mich für das männliche Geschlecht und genieße Gottes Geschenk, anders sein zu dürfen. Ich nehme noch einen Schluck Wodka und lasse mir nachfüllen. Der stämmige Mann an der Bar trägt ein enges Muskelshirt und eine Glatze, die sich im Licht spiegelt.
»Wie heißt diese Dame dort oben?«, versuche ich durch die laute Musik zu diesem Kerl durchzudringen. Er schielt hinüber zu den beiden Damen, stützt sich mit seiner breiten Hand auf der Theke ab und leckt sich genüsslich über die Lippen.
»Doreen, wenn sie die mit den braunen Haaren meinen«, antwortet er mit einem frechen Grinsen auf dem Gesicht.
»Gefällt sie dir?«, fragt er mich und ich starre ihn mit erschrockenem Blick an. Ich schüttle den Kopf und halte ihm einen Umschlag hin, in dem sich eine Stange Geld befindet, und auf dem mein Name steht. Mit gerunzelter Stirn nimmt er den Umschlag entgegen und beäugt ihn genau von jeder Seite.
»Für Doreen«, sage ich, während ich ihm streng in die Augen blicke, ohne eine Miene zu verziehen. Der stämmige Mann nickt einmal kräftig. »Wird gemacht.«
Noch einmal schaue ich zu dem braunhaarigen Mädchen rüber, und betrachte ihre bestimmt tagelang trainierten Bewegungen, wie sie ineinander übergehen, als hätte sie nie etwas anderes getan. Ich leere mein Glas und zahle. Der Mann gibt mir mein Wechselgeld zurück und wedelt mit dem Umschlag.
»Ich werde es ihr geben, wenn sie fertig ist«, verspricht er mit ernstem Blick und ich nicke ihm dankbar zu, senke den Kopf und verlasse den Laden. Schon am Ausgang bete ich in den Nachthimmel, dass sie den Umschlag wirklich bekommt. Ich schwanke hinaus in die Nacht, ein wenig benebelt von dem Wodka, und lasse die kalte Luft meine Erinnerungen aufwehen, die ich so lange verdrängt habe.
»Was ist das?«, fragt Doreen, als sie mit ihrem Auftritt fertig ist. Der breitgebaute Ladenbesitzer hält ihr den Umschlag hin und schaut sie mit ernstem Blick an.
»Mach ihn auf«, sagt er und sie nimmt den Brief entgegen und öffnet ihn vorsichtig. Ihre Blick ändert sich von einem ängstigen zu einem unfassbaren, und sie zieht den Bündel Geldscheine heraus. Dann findet sie den kleinen Zettel darin und liest.
»Meine liebe Doreen. Ich weiß nicht, ob du jemals von mir gehört hast, aber ich weiß, dass es dich gibt und ich habe dich gesucht. Jetzt, wo ich dich gefunden habe, möchte ich, dass du entscheidest, ob du mich sehen möchtest, oder nicht. Aber ich bestehe darauf, dies hier als Entschädigung anzusehen, dass ich dich dein Leben lang allein gelassen habe. Glaub nicht, ich hätte dich vergessen. Ich habe täglich an dich gedacht, wollte dich immer sehen, aber ich wusste nicht, wo du warst. Ich weiß nicht, wer du bist, kenne nicht deine Lieblingsfarbe... Es ist traurig, aber nicht mehr zu ändern. Nimm dieses Geld und kauf dir etwas Schönes, oder ändere dein Leben.
Du wirst die richtige Entscheidung treffen.«
Doreen dreht den Umschlag um und findet auf der anderen Seite einen Namen.
»Thomas Wilder«, liest sie ihrem Chef vor, dieser mit erwartungsvollem Gesicht auf eine Erklärung wartet.
»Wenn das hier kein Zufall ist, dann ist dieser Mann mein Vater«, stellt sie mit Entsetzen fest und tippt mit unruhigem Finger auf den Nachnamen. Ihr Chef blickt sie mit einem gemischten Gefühl an, ein Ausdruck aus Freude und Unfassbarkeit steht in seinem Gesicht geschrieben, und Doreen schüttelt den Kopf, schnappt sich ihre Jacke aus weißem Kaninchenfell und schreitet mit schnellen Schritten hinaus in die Nacht.
Die Kerzen flackern auf, als ich den Hinterraum des Bestattungsinstituts betrete. Ein kühler Luftzug, der schnell vorbei ist und eine alles umfassende Stille zurücklässt. Das Zimmer ist von Weihrauch geschwängert; die Dunstschwäden schieben sich auf der Höhe meines Kopfs durch die Luft. Ich blinzle und muss husten. Ein unnatürlich lautes Geräusch, das mich zusammen zucken lässt. Einsamkeit ist Hand in Hand mit der Ruhe zu meinem treusten Begleiter geworden. Aber jetzt habe ich Angst. Tiefsitzende Angst, die sich gemeinsam mit dem schweren Geruch in meine Eingeweide klammert.
Ich habe Angst.
Davor, einen Schritt vorwärts zu treten. Davor, meine Augen zu öffnen. Davor, sie zu sehen. Kalt, bleich und leblos aufgebahrt.
Noch mehr Angst aber habe ich davor, sie ohne Abschied gehen zu lassen.
Ich halte mich an dem blauen Stoffbeutel fest, den ich mitgebracht habe. Verdrängen kann ich meine Furcht nicht, aber ich kann sie bekämpfen. Ihr systematisch entgegenwirken. Ich trete den einen gefürchteten Schritt nach vorn.
Sie sieht nicht viel besser aus, als ich es mir vorgestellt habe. Leichenhaft. Von aller Liebe und dem Leben verlassen, jedoch so furchtbar schön. Etwas, das sich nicht zwischen einem Lachen und Keuchen entscheiden kann, löst sich aus meiner Kehle.
Vor mir, in dem mächtigen Sarg gebettet, liegt sie. Bewegungslos, seelenlos. Tot.
Ich schluchze. Schlucke. Räuspere mich, wedle den Weihrauch von mir und lasse dabei fast den Beutel fallen. Ich muss lachen, ob meiner stets vorhandenen Tollpatschigkeit.
Der Beutel ist ein weiterer Grund, weshalb ich hier bin. Auf die Vorderseite ist eine weiße Figur gedruckt, die in einer Yogaposition schwebt. Der Beutel war einst ihrer, aber jetzt gehört er niemandem mehr.
Vorsichtig öffne ich ihn und betrachte das Sammelsurium von Gegenständen darin. Kleine Dinge, die unsere Geheimnisse teilen. Geschichten und Erinnerungen, die wir mit niemand anderem teilten. Genauso wie sie zuletzt das Wissen um ihre Gesundheit für sich behielt.
Ich lehne den Schmerz ab, der sich an meiner Brust festhält. Versuche, ihn von mir zu stoßen und stecke meinen Arm in den Beutel, um den ersten Gegenstand herauszuziehen. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, sobald ich die zerknitterte Papierserviette ertaste. Ich ziehe sie heraus, glätte sie und lese die griechischen Wörter und ihre deutschen Übersetzungen. S’ayapo. Bis zu dem Tag hatte ich ihr nicht verraten, was dieser Satz bedeutet. Ein Jahr des Schweigens, gefolgt von Jahren der Liebe – und schließlich Zeiten des Todes.
Das nächste Erinnerungsstück ist ein Spielzeugauto – ein Relikt aus ihrer Kindheit; das einzige, das ihr von damals geblieben ist. Ein knallroter VW Käfer. Fünf Monate vor ihrem Tod schenkte ich ihr die lebensgroße Version. Nur einmal hat sie darin gesessen, ist aber nie selbst gefahren. Der Wagen steht verstaubt in unserer Garage – meiner Garage.
Alte Postkarten, im Fotoautomat geschossene Bilder, zwei Kronkorken, ein knisterndes Bonbonpapier. Unsere Reise durch Schottland, ein Kurztrip nach Berlin, zwei eisgekühlte Cola am westlichen Ende Europas, ein geteiltes Zitronenbonbon in der Hitze Kretas. Die Objekte verschwinden neben ihr in ihrem Sarg, aber die Erinnerungen fädeln sich in meinem Kopf zu einer Kette zusammen. Immer leichter wird der Beutel, bis ich ihn ihr zuletzt auf die Brust lege. Ich streiche über ihre geschlossenen Augen. Von der Welt vergessen ruht sie hier und bei dem Gedanken daran, dass sie sich schon morgen unter der Erde befinden wird, kommen mir die Tränen. Dann sind unsere Erlebnisse nicht mehr greifbar, nur noch Erinnerungen – Geheimnisse, die nur ich kenne und bis zu meinem Tod mit mir herumtragen werde.
„S’ayapo“, flüstere ich. „Ich liebe dich.“
Wir beginnen heute das 27. Story-Battle und die Kontrahenten stehen bereits Ring!
Das Thema ihrer Kurzgeschichten lautete: Geheimnisse ^^
Das Publikum darf bis zum 23. Februar entscheiden, wer zum Sieger gekürt werden soll :)
Und hier folgen nun die beiden Geschichten.
Nackte Tatsachen
(von Goldstaub)
Langsam strecke ich die Hand nach meinem Glas Wodka aus, den Blick stur auf die Bar gerichtet, auf der zwei junge Frauen mit nackten Körpern tanzen. Die Blöße nur schwach bedeckt. Ab und an sieht man sie frieren in diesem Hauch von Nichts. Ich nehme einen großen Schluck aus dem Glas und betrachte das Mädchen in der Nähe von mir. Ihre hellbraunen Haare reichen ihr bis zum Po und schlingen sich genüsslich um ihren Körper, während sie sich zur Musik bewegt. Ihre Schenkel berühren die kalte Stange und ihr Gesichtsausdruck sagt aus, dass sie nicht ganz bei sich ist. Auch die anderen Frauen sehen ziemlich weggetreten aus und verrichten ohne wenn und aber ihren Job. Die niveaulosen Männer in diesem Schuppen starren sie an und wedeln mit ihren Geldscheinen umher. Die Frauen schieben sie sich ungeniert in die Slips und halten ihnen im Gegenzug ihre Brüste ins Gesicht. Als ich dabei so zusehe, schäme ich mich. Ich schäme mich für das männliche Geschlecht und genieße Gottes Geschenk, anders sein zu dürfen. Ich nehme noch einen Schluck Wodka und lasse mir nachfüllen. Der stämmige Mann an der Bar trägt ein enges Muskelshirt und eine Glatze, die sich im Licht spiegelt.
»Wie heißt diese Dame dort oben?«, versuche ich durch die laute Musik zu diesem Kerl durchzudringen. Er schielt hinüber zu den beiden Damen, stützt sich mit seiner breiten Hand auf der Theke ab und leckt sich genüsslich über die Lippen.
»Doreen, wenn sie die mit den braunen Haaren meinen«, antwortet er mit einem frechen Grinsen auf dem Gesicht.
»Gefällt sie dir?«, fragt er mich und ich starre ihn mit erschrockenem Blick an. Ich schüttle den Kopf und halte ihm einen Umschlag hin, in dem sich eine Stange Geld befindet, und auf dem mein Name steht. Mit gerunzelter Stirn nimmt er den Umschlag entgegen und beäugt ihn genau von jeder Seite.
»Für Doreen«, sage ich, während ich ihm streng in die Augen blicke, ohne eine Miene zu verziehen. Der stämmige Mann nickt einmal kräftig. »Wird gemacht.«
Noch einmal schaue ich zu dem braunhaarigen Mädchen rüber, und betrachte ihre bestimmt tagelang trainierten Bewegungen, wie sie ineinander übergehen, als hätte sie nie etwas anderes getan. Ich leere mein Glas und zahle. Der Mann gibt mir mein Wechselgeld zurück und wedelt mit dem Umschlag.
»Ich werde es ihr geben, wenn sie fertig ist«, verspricht er mit ernstem Blick und ich nicke ihm dankbar zu, senke den Kopf und verlasse den Laden. Schon am Ausgang bete ich in den Nachthimmel, dass sie den Umschlag wirklich bekommt. Ich schwanke hinaus in die Nacht, ein wenig benebelt von dem Wodka, und lasse die kalte Luft meine Erinnerungen aufwehen, die ich so lange verdrängt habe.
»Was ist das?«, fragt Doreen, als sie mit ihrem Auftritt fertig ist. Der breitgebaute Ladenbesitzer hält ihr den Umschlag hin und schaut sie mit ernstem Blick an.
»Mach ihn auf«, sagt er und sie nimmt den Brief entgegen und öffnet ihn vorsichtig. Ihre Blick ändert sich von einem ängstigen zu einem unfassbaren, und sie zieht den Bündel Geldscheine heraus. Dann findet sie den kleinen Zettel darin und liest.
»Meine liebe Doreen. Ich weiß nicht, ob du jemals von mir gehört hast, aber ich weiß, dass es dich gibt und ich habe dich gesucht. Jetzt, wo ich dich gefunden habe, möchte ich, dass du entscheidest, ob du mich sehen möchtest, oder nicht. Aber ich bestehe darauf, dies hier als Entschädigung anzusehen, dass ich dich dein Leben lang allein gelassen habe. Glaub nicht, ich hätte dich vergessen. Ich habe täglich an dich gedacht, wollte dich immer sehen, aber ich wusste nicht, wo du warst. Ich weiß nicht, wer du bist, kenne nicht deine Lieblingsfarbe... Es ist traurig, aber nicht mehr zu ändern. Nimm dieses Geld und kauf dir etwas Schönes, oder ändere dein Leben.
Du wirst die richtige Entscheidung treffen.«
Doreen dreht den Umschlag um und findet auf der anderen Seite einen Namen.
»Thomas Wilder«, liest sie ihrem Chef vor, dieser mit erwartungsvollem Gesicht auf eine Erklärung wartet.
»Wenn das hier kein Zufall ist, dann ist dieser Mann mein Vater«, stellt sie mit Entsetzen fest und tippt mit unruhigem Finger auf den Nachnamen. Ihr Chef blickt sie mit einem gemischten Gefühl an, ein Ausdruck aus Freude und Unfassbarkeit steht in seinem Gesicht geschrieben, und Doreen schüttelt den Kopf, schnappt sich ihre Jacke aus weißem Kaninchenfell und schreitet mit schnellen Schritten hinaus in die Nacht.
VS
Weltvergessen
(von captaincow - Gewinnergeschichte)
(von captaincow - Gewinnergeschichte)
Die Kerzen flackern auf, als ich den Hinterraum des Bestattungsinstituts betrete. Ein kühler Luftzug, der schnell vorbei ist und eine alles umfassende Stille zurücklässt. Das Zimmer ist von Weihrauch geschwängert; die Dunstschwäden schieben sich auf der Höhe meines Kopfs durch die Luft. Ich blinzle und muss husten. Ein unnatürlich lautes Geräusch, das mich zusammen zucken lässt. Einsamkeit ist Hand in Hand mit der Ruhe zu meinem treusten Begleiter geworden. Aber jetzt habe ich Angst. Tiefsitzende Angst, die sich gemeinsam mit dem schweren Geruch in meine Eingeweide klammert.
Ich habe Angst.
Davor, einen Schritt vorwärts zu treten. Davor, meine Augen zu öffnen. Davor, sie zu sehen. Kalt, bleich und leblos aufgebahrt.
Noch mehr Angst aber habe ich davor, sie ohne Abschied gehen zu lassen.
Ich halte mich an dem blauen Stoffbeutel fest, den ich mitgebracht habe. Verdrängen kann ich meine Furcht nicht, aber ich kann sie bekämpfen. Ihr systematisch entgegenwirken. Ich trete den einen gefürchteten Schritt nach vorn.
Sie sieht nicht viel besser aus, als ich es mir vorgestellt habe. Leichenhaft. Von aller Liebe und dem Leben verlassen, jedoch so furchtbar schön. Etwas, das sich nicht zwischen einem Lachen und Keuchen entscheiden kann, löst sich aus meiner Kehle.
Vor mir, in dem mächtigen Sarg gebettet, liegt sie. Bewegungslos, seelenlos. Tot.
Ich schluchze. Schlucke. Räuspere mich, wedle den Weihrauch von mir und lasse dabei fast den Beutel fallen. Ich muss lachen, ob meiner stets vorhandenen Tollpatschigkeit.
Der Beutel ist ein weiterer Grund, weshalb ich hier bin. Auf die Vorderseite ist eine weiße Figur gedruckt, die in einer Yogaposition schwebt. Der Beutel war einst ihrer, aber jetzt gehört er niemandem mehr.
Vorsichtig öffne ich ihn und betrachte das Sammelsurium von Gegenständen darin. Kleine Dinge, die unsere Geheimnisse teilen. Geschichten und Erinnerungen, die wir mit niemand anderem teilten. Genauso wie sie zuletzt das Wissen um ihre Gesundheit für sich behielt.
Ich lehne den Schmerz ab, der sich an meiner Brust festhält. Versuche, ihn von mir zu stoßen und stecke meinen Arm in den Beutel, um den ersten Gegenstand herauszuziehen. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus, sobald ich die zerknitterte Papierserviette ertaste. Ich ziehe sie heraus, glätte sie und lese die griechischen Wörter und ihre deutschen Übersetzungen. S’ayapo. Bis zu dem Tag hatte ich ihr nicht verraten, was dieser Satz bedeutet. Ein Jahr des Schweigens, gefolgt von Jahren der Liebe – und schließlich Zeiten des Todes.
Das nächste Erinnerungsstück ist ein Spielzeugauto – ein Relikt aus ihrer Kindheit; das einzige, das ihr von damals geblieben ist. Ein knallroter VW Käfer. Fünf Monate vor ihrem Tod schenkte ich ihr die lebensgroße Version. Nur einmal hat sie darin gesessen, ist aber nie selbst gefahren. Der Wagen steht verstaubt in unserer Garage – meiner Garage.
Alte Postkarten, im Fotoautomat geschossene Bilder, zwei Kronkorken, ein knisterndes Bonbonpapier. Unsere Reise durch Schottland, ein Kurztrip nach Berlin, zwei eisgekühlte Cola am westlichen Ende Europas, ein geteiltes Zitronenbonbon in der Hitze Kretas. Die Objekte verschwinden neben ihr in ihrem Sarg, aber die Erinnerungen fädeln sich in meinem Kopf zu einer Kette zusammen. Immer leichter wird der Beutel, bis ich ihn ihr zuletzt auf die Brust lege. Ich streiche über ihre geschlossenen Augen. Von der Welt vergessen ruht sie hier und bei dem Gedanken daran, dass sie sich schon morgen unter der Erde befinden wird, kommen mir die Tränen. Dann sind unsere Erlebnisse nicht mehr greifbar, nur noch Erinnerungen – Geheimnisse, die nur ich kenne und bis zu meinem Tod mit mir herumtragen werde.
„S’ayapo“, flüstere ich. „Ich liebe dich.“