Hier folgt nun endlich einmal das erste Kapitel, bzw. der erste Teil davon. Wir hoffen, dass wir hier mit den Ortsbeschreibungen besser sind, als im Prolog
Kapitel 1: Der Flug des Fafnir Teil 1
Pünktlich um zwölf Uhr verließ der Fafnir-Express den magischen Bahnhof in Brüssel und nun Kurs Richtung Nordost. Der Fafnir-Express, ein Schülerprojekt des Nachtigallenhauses, war ursprünglich ein ausrangierter Muggel-ICE-Zug gewesen. Vor einigen Jahren waren einige Schüler auf die Idee gekommen, den uralten "Adler"-Dampfzug zu ersetzen. Gemeinsam mit ihren Lehrern gestalteten die Schüler einen abgewrackten ICE in den drachenhaften Fafnir-Express um. Nun handelte es sich bei dem Gefährt um einen fliegenden Zug mit Muggeltarnmodus, der äußerlich dem sagenhaften Fafnir nachempfunden war. Die Abteiltür eines in der Mitte des Zuges gelegenen Abteils wurde aufgeschoben und der Auror Konrad trat ein. Das Abteil war sehr geräumig eingerichtet. Eine zweisitzige Bank stand gegenüber einer Eckbank, auf der bis zu sechs Personen Platz finden konnten. Sie waren mit einem sehr flauschigen Stoff bezogen, der mit einem undefinierbaren Muster aus Rot, Blau und Grün versehen war. Zwischen den beiden Sitzbänken befand sich ein Eichentisch, der in einen Rahmen aus Gold, Silber und Bronze gefasst war. An der Unterseite des Tisches befanden sich zwei ausgeklappte, metallene Drachenköpfe, die je einen Becher Kaffee in ihren Mäulern hielten. Die Eichenholzvertäfelung der Wände und der Kronleuchter - der ebenso wie die Tischfassung aus Gold, Silber und Bronze geschmiedet war - verliehen dem Abteil eine gediegene Atmosphäre. Die Fenster und auch die Tür konnten durch eichenholzbraune Vorhänge, auf denen ein prunkvolles Wappen zu sehen war, gegen Licht und fremde Blicke verschlossen werden.
Konrad ließ sich gegenüber von Sigurd auf der Eckbank nieder, seufzte und sah seinen Kollegen an. „Hier ist alles in Ordnung…“ Es folgte Schweigen und der Zug ruckelte, als er sich in die Luft erhob. „Sigurd, sag mal… Weißt du, ob es jetzt, da der Krieg zu Ende ist, endlich eine offizielle Trauerfeier für Alastor geben wird?“, nahm Konrad schließlich ein Gespräch auf. Sigurd sah von seiner Zeitung auf. „Nicht, dass ich wüsste. Ein anständiges Begräbnis können wir ihm sowieso nicht geben. Keine Leiche.“, erklärte er. Konrad nickte traurig. „Das ist wahr. Aber nach allem, was ich gehört habe, hat er wenigstens einen ehrenvollen Tod erlitten.“ Aus seinem Umhang zog er eine Flasche Hochprozentigen sowie zwei Gläser, die durch einen Schwenk mit dem Zauberstab befüllt wurden. Eines reichte er Sigurd und prostete ihn zu. „Auf Alastor. Auf dass er endlich seinen verdienten Frieden gefunden haben mag.“ Mit ernster Miene erwiderte Sigurd die Geste. Beide stützten den Alkohol in einem Schluck herunter. Während die Gläser neu befüllt wurden, sagte er: „Auf Alastor, den besten verdammten Mentor, den wir je hatten.“ Konrad hob zustimmend sein Glas zum Mund. Wieder und wieder füllten sich die Gläser und immer neue Reden zum Wohl des verstorbenen Mentors wurden geschwungen. Mit jedem Glas stieg aber auch die Stimmung. Nach zwei Stunden leerten sie den Rest der zweiten Flasche, während der Zug auf dem Stillen Gleis in Berlin einfuhr. „Zieh dir dasch hier ma‘ rein!“, lallte Konrad und zog mit seinen linken Ärmel hoch. Dieser enthüllte seinen Arm, der von vielen roten Pünktchen überzogen war. „Alscho, der Sohn vom Kanschler, der is‘ n Biest. Ich wa‘ da ja zum Schutz von’m Kanschler – verdeckte Mischon un‘ so. Der Kleine wollt dann ja ma‘ probier’n, wasch paschiert, wenn er den Hamschter von scheina Schweschter mit ner Nadel piekscht… Un‘ der Hamscher war ich!“, endete er deprimiert. Sigurd bedachte Konrad mit einem wohl mitleidig gemeinten Blick, der allerdings eher leicht gelangweilt aussah. „Das‘ ja niedlich“, nuschelte er. „Willste meine ma‘ seh’n?“ Mit diesen Worten zog er sich das Hemd über den Kopf. Ernsten Blickes enthüllte Sigurd so seinen von Narben und alten Brandverletzungen übersäten, geradezu erbärmlich knochigen Oberkörper. Und ein schwarz- rotes Drachentattoo. „Wohow“, kommentierte Konrad die Tätowierung, die ihn gerade anfauchte. Zu einem ausführlicheren Kommentar kam er jedoch nicht, da in diesem Augenblick die Abteiltür aufgezogen wurde und eine hellbraunhaarige Schülerin ins Abteil kam. Bei Sigurds Anblick blieb sie wie versteinert stehen und starrte ein paar Sekunden auf den entblößten Oberkörper des Aurors, dessen Drache sich ihr zuwandte und sie ebenfalls anfauchte. Schließlich trat sie steif einen Schritt zurück auf den Gang und knallte die Abteiltür wieder zu. „Patrulle… Patrullje…“, versuchte sich Konrad an dem schweren Wort und scheiterte. „Jo, das klingt nach ‘ner guten Idee…ee“, antwortete Sigurd. Er drehte sich um (was Konrad einen Blick auf die restlichen Narben des blonden Aurors verschaffte) und kramte kurz in den Innentaschen seines Mantels. Schließlich drehte er sich wieder um und reichte Konrad eine kleine Phiole mit violett leuchtendem Inhalt. „Stoß‘ nomma mit mir an, Kollega…“, meinte Sigurd und hob seine bereits entkorkte Phiole. Konrad nahm die Phiole seinerseits an und stieß sie kurz gegen Sigurds. Er entkorkte und leerte das Gefäß und Sekundenbruchteile später schien sich ein Nebel von seinem Geist zu heben. Er konnte wieder klar denken. Dann sah er Sigurd an und wurde blass. „Du… die Schülerin… Und du…“, ihm versagte die Stimme. Sigurd sah an sich herunter. „Ja. Ich sollte mich wieder anziehen, nicht wahr.“ Er sammelte sein Hemd vom Abteilboden auf und streifte es sich über. Dann erst schaute er Konrad an. „Ich geh‘ dann mal auf Patrouille.“ Er erhob sich abrupt und verließ das Abteil. Konrad saß eine Viertelstunde sich selbst überlassen im Abteil. Hoffentlich würde der Zwischenfall vorhin keine Kündigung nach sich ziehen. Und was war das bloß für ein violettes Zeug gewesen? Als der Zug sich aus dem Berliner Stillen Gleis bewegte, öffnete sich die Abteiltür wieder und ein wesentlich ruhigerer Sigurd kam herein. „Der Zug ist sauber.“, teilte er seinem Kollegen mit und setzte sich wieder. Konrad konnte sich nun doch ein Grinsen nicht verkneifen. „Natürlich ist der Zug sauber, er hat einen Anti-Verschmutzzauber.“ Sigurd würdigte den kleineren Auror eines herablassenden Blickes. "Spar dir die Comedy-Routine für meine Schwester auf. Die ist für sowas empfänglicher." Nun griff Konrad auf das Thema zurück, das ihn gerade noch so beschäftigt hatte: „Hm, was für ein genialer Trank war das da vorhin eigentlich? Der ist ja besser, als jeder noch so perfekt gebraute ‚Katerschreck‘!“ „Naja“, sagte Sigurd, „ich hatte in Rom einen Kommilitonen, der sich auf Tränke spezialisiert hat. Der hat sich sein Studium mit Selbstgebrautem finanziert.“ Er pausierte kurz. „Das lila Gesöff hier ist von ihm. Das Rezept zumindest. Er nannte es ‚Nüchternheit‘.“ „Das muss nach meiner Zeit gewesen sein… Du liebe Güte, wenn ich jetzt daran zurückdenke… Diese studentischen Saufgelage! War ja an sich auch immer sehr lustig, nur blöd, wenn dann dein Verteidigungsprof vorbeikommt und dich fragt, warum die ganzen Erstsemestler aus deinem Tutorium betrunken sind und du auch!“ Sigurd konnte sich jetzt ein Grinsen ebenfalls kaum verkneifen. "Ach ja, der alte Borgia. Hat uns trotz allem verdammt viel beigebracht, das alte Ekelpaket." "Das Tutorium bei ihm hab ich auch nur einmal gemacht... Anders als den Übungskurs für simulierte Kämpfe der Erstsemestler, falls du dich erinnerst...", erwiderte Konrad und zwinkerte Sigurd zu. Der nickte nur. "Natürlich. Du hast mich ein paar Mal ganz schön auflaufen lassen, bevor ich die Übungen sauber hinbekam." Konrad musste lachen. "Es war ja auch nicht Sinn der Sache, einen Angriff damit zu kontern, den halben Übungsraum abzufackeln!" "Naja, du musst zugeben: Es war effektiv." Sigurds Gesichtsausdruck blieb bei diesem Konter völlig gleichmütig. "Du musstest das ja auch nicht ausbaden und dir noch ein paar Standpauken von Dozenten und Hauselfen anhören!", warf ihm nun Konrad gespielt beleidigt vor. "Das ist natürlich richtig. Aber das gehört nun mal zum Tutorendasein dazu. Meine Tutanden waren auch nicht besser." "Du liebe Zeit, ich hatte für nachfolgende Studierende gehofft, dass du niemals Tutorien geben würdest!" Sigurd lehnte sich auf seiner Sitzbank zurück. "Also wirklich, Konrad. Dass du so wenig Vertrauen in mich hast, das schockiert mich jetzt ein bisschen." Er machte eine Kunstpause, lehnte sich dann wieder nach vorne. "Ich war dein bester Tutand!" "Nur, weil man in etwas gut ist, heißt das ja nicht, dass man auch automatisch gut darin ist, es an andere weiterzugeben. Dich hatte ich mir nie als Tutor oder gar Lehrer vorstellen können.", gab Konrad zurück. Inzwischen hatten sich um seine Augen kleine Schalk-Falten gebildet, die deutlich machten, dass er gerade seinen Spaß an der Diskussion hatte. "Von Automatik kann auf dem Römischen Campus sowieso nirgends die Rede sein. Das war doch alles noch gute, sorgfältige Handarbeit!", setzte Sigurd nach. Auch ihm war längst das Vergnügen am verbalen Schlagabtausch anzusehen. Nun sah der kleinere Auror ein wenig verwirrt drein. "Ähm, Gudrun, hast du etwa Kunigundes Vielsafttrank-Vorräte geplündert?" "Du bist heute wirklich auf Streit aus, oder? Gudruns Stil hat mit meinem etwa so viel zu tun wie ein rosa beschleifter Bernhardiner mit einem Wolf.", gab der blonde Auror zurück. Er klang nun ernsthaft ein wenig empört. "Entschuldige, ich muss wohl noch Restalkohol im Blut haben...", beteuerte Konrad. "Entweder das, oder du bist immer noch darauf trainiert, bei der bloßen Erwähnung des alten Borgia paranoid zu werden. Was mich nicht wundern würde.", meinte Sigurd. "Wenn der alte Knacker im Gebäude war, konnte man ohne ein 'Hominem revelio' ja nicht mal in Ruhe aufs Klo gehen." "Das hab ich einmal erlebt, danach hatte ich es mir angewöhnt, als Hamster in die Büsche zu hüpfen.", erinnerte sich Konrad "Ist dir schonmal ein Aal aus dem Klo den Rücken raufgekrochen? Widerlich!" Sigurds ernstes Gesicht wurde nur kurz von einem Grinsen aufgehellt. "Ja... hattest du noch mitbekommen, dass das östliche Wohnheim irgendwann keine Toiletten mehr hatte?" Er murmelte nur noch. "Das war ich. Zugegeben, um die drei dreckigen Löcher war es nicht wirklich schade, aber dennoch..." "Davon hatte ich gehört, ja... Also wirklich! Gut, dass ich mir zu der Zeit schon eine eigene kleine Bude organisiert hatte. Ein Kommilitone von mir kam danach immer zum Duschen zu mir, weil nicht nur die Klos verschwunden, sondern auch die Wasserleitungen beschädigt worden waren." Sigurd hustete etwas gekünstelt. "Der positive Endeffekt davon war dann, dass sie das ganze Gebäude erneuert haben. Das hatte es ehrlich gesagt aber auch dringend nötig. Die tragenden Balken waren von 1644 und völlig von Termiten zerfressen." Auf diese Weise in ihren Studienerinnerungen schwelgend, verging die nächste Etappe für die Auroren wie im Flug.
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