Pooly's Kunst und Schreibforum

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    Alte Schreibbattles #21: Teleri gegen Kelly

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    Pooly
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    Ich schreibe : Um meine Seele am Ende des Tages vom Staub des Alltags zu befreien.
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    Beitrag von Pooly So 07 Feb 2010, 20:37

    So, ihr Lieben!

    Und los gehts in Battle 21!
    Es treten Dany (Herausforderer) und Marita an mit einer Kurzgeschichte aus dem Bereich Weltgeschehen zum Thema "Deine Geschichte 2009" an.
    Ihr habt bis zum 21.02 Zeit, euch für die bessere zu entscheiden und eure Meinung abzugeben.

    Viel Spaß und auf einen fairen Kampf!


    Westkind
    (von Teleri)


    Ich sehe nur aus Bildern, was 2009 20 Jahre zuvor ein Weltereignis in einer Größenklasse gewesen sein mochte, welche wir uns heute nur ausmalen können.
    Es stehen sich sehr unterschiedliche Meinungen gegenüber. Leute erzählen überall etwas anderes. Sprechen aber nicht die Bilder für sich?
    Eine Geschichte, die genau in diese Zeit, als es um den 20. Jahrestag des Mauerfalls ging, hineinspielt.

    Mein Freund hatte mich eingeladen, ihn zu begleiten, zu seiner neuen Bandkollegin.
    Es ist November und noch einigermaßen erträglich von den Temperaturen. Er läuft also mit einer geöffneten Jeansjacke und seinen langen Haaren vor mir her und ich versuche irgendwie – Schritt zu halten.
    Nun ja, es ist ja auch nicht sonderlich wichtig, dass wir auf der Straße nicht oft wirken, wie ein Paar. Es geht mir um das Treffen mit einer mittlerweile guten Freundin, obwohl ich doch einen markanten Unterschied zwischen uns beiden Damen entdeckt habe.
    Die Betrachtung der Welt.
    Wir kamen also nach einigem Reden auf das Weltgeschehen und sie schnitt das Thema 20 Jähriges Jubiläum des Mauerfalls an.
    Ich in meiner vielleicht naiven Meinung, antworte: „Ich find es gut, dass wir auch noch ein bisschen Kultur bewahren. Wenigstens daran erinnert man sich noch.“
    Die Antwort kam unvermittelt, wie provozierend: „Ach was – Kultur. Diesen Mauerfall wollte doch eh niemand haben. Was glaubst du, warum das kein Feiertag geworden ist?“
    Ich schweige kurz, denn im Geschichtsunterricht hatte ich gelernt, dass die Führungsschichten eigentlich nicht in Richtung Mauerfall gearbeitet hatten. Aber musste zwangsläufig, dass Ansinnen der Menschen auch anders gewesen sein?
    Wer kam eigentlich damals auf die Idee Deutschland zu teilen?
    1945 hatte Deutschland den 2. Weltkrieg nicht mehr fortführen können. Sowjetunion, die Franzosen, die Amerikaner und die Briten hatten sich Deutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt, in denen jeder Übergangsregime aufstellen konnte.
    Im Laufe der Zeit schlossen sich erst Briten und die USA Zusammen und Deutschland stand nur unter drei Besatzern. Am Ende waren es zwei Besatzungszonen, aus denen 1949 und 1950 dann die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik entstanden.
    Wenn man es ganz grob betrachtet.
    Die Frage ist jetzt nur, meine Freundin, 28, hat die Teilung noch miterlebt, ich bin mit meinen 21 Jahren damit noch ein Küken. Ich kannte schon einmal eine Aussage über die Teilung, und das war mein Stiefvater. Er ist der typische BRDler. CDU-Wähler, am besten zum Gang der Toilette hin noch einen Anzug anziehen. Dieser leichte Hauch von Arroganz, der sich aber urplötzlich von selbst wegwischt, wenn er anfängt zu lächeln. Ein guter Mensch.
    Jedenfalls sagte er mir noch etwas zum Aufbau der Mauer, dass die Straßen rundherum lautlos waren. Absolute Stille! Kein einziger Mensch, der es wagte auch nur etwas zu sagen. Gebannt verfolgte man diese Entwicklung von 1963 mit Schrecken. Von der Grenze zeigte man Kinder, die von ihrer Mutter gehalten wurden und es gibt zu dieser Zeit einen Satz der mich verfolgt.
    „Mama – Papa kommt doch dort von Arbeit…“
    Kann diese Trennung wirklich mit der Zeit akzeptiert worden sein?
    Kann es wirklich sein, dass Leute, die 40 Jahre abgeschottet von ihren Verwandten gelebt hatten, sich diesen Umstand zurückwünschen?
    Meine Galle droht mir überzukochen und ich sage: „Ich sehe doch, was wir in Geschichtsbildern gesehen haben. Die Filmaufnahmen, wie die Menschen über den eisernen Vorhang krochen.“
    Doch sie schüttelt kalt lachend den Kopf: „Das ist nur eine Filmeaufnahme. Komparsen, mit denen man diesen Eindruck vermitteln möchte.“
    Meine leidliche Antwort zu diesem Thema ist gewesen: „Ja, dann haben sie aber echte Talente gefunden. Vielleicht spielt ja einer mit Leonardo Di Caprio zusammen.“
    Natürlich fängt man trotz dessen an darüber nachzudenken. Natürlich ist der kleine Zweifel gesät.
    „Ach, aber eine Frage hätte ich da noch“
    „Ja, welche denn?“
    „Warum zum Teufel feiern die den Mauerfall dann?“
    „Ist dir noch nicht aufgefallen, dass nur die Politiker im Fernsehen über den großen Erfolg des Mauerfalls berichten, und dann auch nur halbherzig?“, ein bisschen Zynismus schleicht sich aus der Stimme. Es scheint als würde sie mich direkt für die Dummheit aller Menschen hier in Deutschland verantwortlich machen. In einer Stadt, wo Millionen Menschen so denken, wie ich.
    Bin ich ein Westkind, weil ich denke, dass es gut ist, dass das Land wieder vereint ist? Bin ich ein Westkind, weil ich denke, dass die Leute, logischerweise niedrigere Löhne haben müssen?
    Bin ich ein Westkind, weil ich die Welt anders sehe, als die Bandkollegin meines Freundes?
    Ich behaupte Nein! Denn, wenn ich herausfiltere, was mir die Leute sagen, sind sie und ihre Mutter, die einzigen, die mir erzählt haben, dass es nicht so war, wie auf den Bildern gezeigt.
    Der Gewinner macht die Geschichte, das ist richtig, aber der Verlierer versucht zu verteidigen.
    So, war es auch in diesem seltsamen Beispiel. Ob da nun stand: „Wir sind das Volk“ oder „Wir sind ein Volk“ ist das nicht egal? Als die Mauer fiel jubelten die Menschen – sie freuten sich – sie hatten einen geschichtlichen Moment erzeugt. Die friedliche Revolution. Sie haben Deutschland zu einer Nation gemacht und dieser eine Moment ist es, der mich glauben lässt, dass man alles schaffen kann, wenn man nur will.
    Das Weltgeschehnis 20 Jahre Mauerfall, wird mich auch weiterhin faszinieren. Wenn man sieht, wie Menschen demonstrieren, wie Menschen etwas verändern können, wenn sie zusammenhalten, erscheint es mir leider viel zu selten und wenn man an diese Art von Veränderung glaubt, wie meine Wenigkeit, dann erscheint es beinahe Blasphemie zu sein, diese Art von reiner Menschlichkeit und dem meiner Meinung nach ehrlichen Versuch, die Mauer zu Fall zu bringen, als nicht existent zu bezeichnen. Ich sehe es als ein Wunder an, dass der Mensch eine Veränderung bewirken kann, ohne großartige Gewalt zu benutzen.
    Für mich war es das größte Ereignis des Jahres, landespezifische Erinnerung erleben zu können.
    Auch wenn ein Barack Obama zum Präsidenten gekürt wurde, auch wenn Menschen im Iran und im Irak sterben durch Gewalttäter, auch wenn täglich Frauen, Jugendliche und Männer Amok laufen, anderen Leuten das Leben nehmen. Man kann all diese Dinge wissen, sich davon berieseln lassen, mit dem Gedanken, wir können anders! Wir Menschen müssen so nicht sein.
    Wo ist nur all die Menschlichkeit hin?
    Und – bin ich ein Westkind, weil ich so denke?







    Assalam alaikum
    (von Kelly - Gewinnergeschichte)

    „Entschuldigung, sorry, excuse me...“
    Murmelnd bahnte sich Said seinen Weg durch die Menschenmenge. Seinen Fotoapparat hielt er dabei hoch über seinen Kopf, um ihn zu schützen. Er strich sich eine schwarze Haarsträhne lässig aus dem Gesicht und ließ sich in einen Sessel fallen. Da war er also. 4. Juni 2009, Kairo-Al Azhar Universität.

    Ahmad schlenderte durch den Laden und kratzte sich am Kopf. Irgendwie hatte er keine Ahnung von den ganzen Monitoren hier. Natürlich, sein Fernseher war alt und der Ton funktionierte kaum noch. Er brauchte einfach ein neues Gerät. Plötzlich bemerkte er, dass sich einige Kunden um einen großen Bildschirm versammelt hatten und wie gebannt hineinstarrten. Er stellte sich hinter sie, auf die Zehenspitzen und sah, was sie so beeindruckte: ein dunkelhäutiger Mann in Anzug vor mehreren amerikanischen Flaggen. Er stand an einem Rednerpult und sprach auf Englisch. Ahmad verstand kein Wort. Bis... ja, bis dann die überraschenden Worte erklangen: „Assalam alaikum“.

    Said nickte beeindruckt. Das rhetorische Genie dieses Mannes begann bereits, ihn in seinen Bann zu ziehen. Er sprach von Kairo als zeitloser Stadt zwischen Tradition und Fortschritt, zwischen Vergangenheit und Moderne. Seine Stimme klang klar und deutlich durch den Saal, es war so still, wie Said es nicht einmal aus den besten Vorlesungen seiner Studienzeit kannte.
    Journalisten und Vertreter der Regierung, alle schienen gefesselt von diesem noch relativ jungen Präsidenten der Vereinigten Staaten, der doch so viel Macht in den Händen hielt und auf dessen Schultern eine so große Verantwortung lastete. Said hatte den Aufstieg des Präsidenten Obama beobachtet und sich mehr als einmal gefragt, ob es richtig war, ob Amerika bereit war für einen Visionär wie ihn. Was er nun hörte, das begeisterte ihn nicht nur. Es machte ihm auch Sorgen: Obama – so schien es ihm – war eindeutig ein Visionär, einer, der nach dem richtigen Punkt suchte, um ein ganzes Gefüge aus den Angeln zu heben. Ein ganzes Gefüge, das sich „Welt“ nannte. Die Frage war nur, ob „Welt“ bereit dazu war. Und das war es auch, was Said Sorgen bereitete.

    Ahmad horchte auf und drängte sich etwas weiter nach vorne. Was war hier eigentlich los? So etwas hatte er in dem Geschäft noch nicht erlebt. Aber ein Blick auf die Tür verriet ihm, dass der Wunder noch nicht genug waren. Noch mehr Leute kamen zur Tür herein, Leute aller Altersgruppen, aller sozialen Schichten. Doch sie streunten nicht durch das Geschäft, musterten nicht mit ratlosen Blicken die vielen Regale, sie sahen sich nicht hilfesuchend nach einem Angestellten um. Im Gegenteil: Zielstrebig traten sie an den Monitor und drängten sich um ihn herum.
    „Jetzt seid doch mal still, alle zusammen!“, schimpfte jemand.
    Das wirkte.
    Die Unruhe legte sich und die Stimme des Präsidenten der USA klang klar und deutlich durch den Raum.


    „Solange unsere Beziehungen von unseren Unterschieden definiert sind, werden wir diejenigen stärken, die eher Hass als Frieden verbreiten. Dieser Kreislauf der Verdächtigungen und Zwietracht muss enden!“


    Der Schlag saß. Said hob die Augenbrauen und kritzelte einige Notizen auf seinen Block. Dann griff er sich an die Stirn. Er hatte Recht. Dieser Verrückte da unten sagte die Wahrheit und zwar mit einer solchen Überzeugung, dass Said nicht anders konnte, als ihn dafür zu bewundern. Es war diese Unverfrorenheit, diese Kühnheit mit der dieser junge Präsident den Menschen ins Gesicht sagte, was er hoffte, wovon er träumte.
    Der Blick dieses Mannes wanderte durch die Reihen und einen Moment lang spürte Said ihn auf sich ruhen, spürte die Bedeutung des Augenblicks, die knisternde Spannung in der Luft. Kein Laut war zu hören, kein Husten, kein Schluckauf.

    "Ich bin nach Kairo gekommen, um einen Neuanfang zwischen den Vereinigten Staaten und den Muslimen überall auf der Welt zu beginnen. Einen Neuanfang, der auf gemeinsamen Interessen und gegenseitiger Achtung beruht."

    Ahmad hob verwundert die Augenbrauen, als der Dolmetscher zu sprechen begann. Wer war es, der so hochtrabende Träume hatte?
    Einen Neuanfang zwischen den USA und der arabischen Welt? Wie sollte, wie konnte das funktionieren? Ein bitteres Lachen stieg in Ahmads Kehle auf. Es war Wahnsinn, zu hoffen, die Menschen auf beiden Seiten könnten einander vergeben. Vergeben und vergessen... das konnten Menschen nicht. Noch nicht, nicht so kurz nach den Anschlägen des 11. Septembers, nicht so kurz nach dem Irakkrieg, nicht so kurz nach dem Tod so vieler Unschuldiger in diesem sinnlosen Krieg. Nein, Ahmad teilte diese Visionen nicht.


    Said biss sich auf die Lippe. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor, so heftig umfasste er seinen Stift. Was Obama sagte, war so wahr. Er schloss für einen Augenblick die Augen und lauschte der Stimme, die ihm eindringlich klar machte, dass alles, wovon er träumte, wovon die Welt träumte, Wirklichkeit werden konnte, diese Vision einer friedlichen Erde, die Vision neuer Hoffnung, die Vision des Neuanfangs.
    Obwohl Said an Obama gezweifelt hatte, war es einfach unglaublich, was er mit den Menschen in der Universität angestellt hatte: Sie waren misstrauisch, ungläubig ja fast mürrisch in den Saal gekommen. Und jetzt? Said musste sich nicht umblicken. Alle hingen mit glänzenden Augen an den Lippen dieses Mannes, den sie vorher doch immer in erster Linie als ihren Feind, als Amerikaner, angesehen hatten. Said wusste nur zu gut, dass er selbst keine Ausnahme gebildet hatte. Aus Neugierde hatte er den Auftrag des Chefredakteurs angenommen und weil die Zeitung auf sein gutes Englisch angewiesen war.
    Aber wie hatte Obama diese Veränderung im Publikum geschafft?

    Ahmad zuckte zusammen, als ihm jemand auf die Füße trat.
    „Entschuldigen Sie, mein Herr“, murmelte jemand, aber Ahmad achtete nicht weiter darauf.
    Dieser Redner hatte ihn völlig in seinen Bann gezogen, es gab keine Chance, sich seiner Ausstrahlung, seinem Charisma zu entziehen. Im Grunde hatte er sich beraten wollen, welches Fernsehgerät wohl am geeignetsten für ihn und seine Familie war. Dieses Vorhaben drängte er vorsorglich in den hintersten Winkel seines Denkens. Seine Hand ballte sich in der Hosentasche zur Faust. Er spürte, wie gerne er sich den Visionen dieses Träumers hingeben wollte. Aber er schüttelte den Kopf. Dort auf dem Bildschirm tanzte ein Amerikaner herum und predigte von gegenseitigem Respekt. Das passte nicht zusammen. Amerikaner und Respekt... nein, das gab es nicht.


    „Wir müssen uns darum bemühen, einander zuzuhören, voneinander zu lernen, uns gegenseitig zu respektieren und Gemeinsamkeiten zu finden. Wie der Heilige Koran uns lehrt: „Sei Gott gewärtig und spreche immer die Wahrheit.“

    Said sprang auf, mehrere Männer in seiner Sitzreihe taten dasselbe und klatschten laut. Und der junge Journalist begriff, was geschehen war, mit ihm, mit dem Publikum, was gerade mit der ganzen Welt geschehen musste, wenn sie diese Rede hörte.
    Barack Obama hatte mit seinen Worten vom Neuanfang genau den Punkt getroffen, der nicht nur die muslimische Welt seit Jahrzehnten. Nein, es war vielmehr etwas, das die Menschen schon seit Urzeiten beschäftigte: Barack Obama sprach vom Frieden.
    Es lag nicht in der Natur des Menschen sich gegenseitig abzuschlachten, die eigene Art auszurotten. Das konnte nicht im Interesse eines einzigen von ihnen liegen. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hatte genau dies angesprochen: die Sehnsucht der gesamten Menschheit nach Frieden. Vielleicht, und das wusste Said, lag dieser Wunsch oft sehr tief verborgen im hintersten Bewusstsein des einzelnen, vielleicht schien er oft gar nicht da zu sein, wenn es Krieg gab, wenn es Terror gab, wenn Angst herrschte. Aber Barack Obama und seine Wirkung auf sein Publikum gaben Said die Sicherheit, dass dieses Sehnen doch in jedem von ihnen vorhanden war. Und dass es stark war, stark werden konnte, wenn man ihm nur die Möglichkeit dazu gab.

    Ahmads Kiefer klappte nach unten. Er war fassungslos, sprachlos, hilflos. Nicht im Traum hatte er geglaubt, dass ihm ein Mann wie dieser so sehr die Sprache verschlagen konnte. Dabei hatte er immer geglaubt, ein guter Moslem zu sein, stark im Glauben, überzeugt davon. Dazu gehörte auch die Überzeugung, dass die Amerikaner Feinde des Islams waren. Sie hatten den Irak angegriffen, sie waren für den Tod so vieler seiner arabischen Brüder verantwortlich, dass dieser Mann nicht erwarten konnte, dass man ihn bejubelte.
    Enttäuscht hörte er, dass genau das eintrat: Das Publikum jubelte.
    Und dennoch, Ahamd biss sich auf die Lippen, auch ihn erfassten allmählich Zweifel.


    "Es war der Islam an Orten wie der Al-Azhar Universität der das Licht der Bildung über so viele Jahrhunderte getragen und den Weg für die europäische Renaissance und Aufklärung bereitet hat."

    „Schmier uns ruhig Honig ums Maul!“, ereiferte sich Ahmad im Stillen.
    Verbittert hörte er erneut den Applaus der Zuhörer. Sahen sie nicht, dass Obama sie bestach? Sahen sie die Gefahr nicht, die von diesem Mann ausging?
    Von Zorn erfüllt bemerkte er auch, dass sich ein gefährliches Glänzen in die Blicke der Umstehenden geschlichen hatte. Es war, als hätten diese sinnlosen, leeren Worte ein Feuer in ihnen entzündet, ein Feuer, das sie sehr bald verschlingen würde, dessen war er sich sicher.


    In Saids Hand brach der Stift unter dem Druck seiner Finger in zwei Teile, eines fiel zu Boden. Verlegen tauchte er hinunter, um das zweite Stück zu holen.
    Er tastete in der Dunkelheit nach dem Teil, fand es aber nicht. Verbissen suchte er weiter.

    "Die islamische Kultur hat uns majestätische Bögen und hohe Gewölbe beschert, zeitlose Poesie und geschätzte Musik, elegante Kalligraphie und Orte der friedlichen Kontemplation. Im Verlaufe der Geschichte hat der Islam durch Worte und Taten die Möglichkeiten der religiösen Toleranz und ethnischen Gleichberechtigung demonstriert."

    Saids Kopf knallte schmerzhaft gegen den Stuhl vor ihm, aber niemand bemerkte es. Auch Said selbst nicht. Der zerbrochene Stift war vergessen, genau wie der Auftrag, gefälligst eine vernünftige Story zu liefern, genau wie die Angst, schon an seiner ersten größeren Aufgabe als Journalist zu scheitern. Was blieb, war die Gewissheit, dass dieser Mann dort am Rednerpult nicht nur wusste, wovon er sprach, sondern auch Recht hatte. Er sprach die Wahrheit, Said las es in seinem Blick.

    Ahmads Faust erschlaffte.
    Die Worte des Dolmetschers drangen nur noch gedämpft an sein Ohr. Das Geflüster der Umstehenden, das Summen der vielen Monitore im Geschäft nahm er gar nicht mehr wahr. Ganz langsam nur öffnete er sich. Er dachte nach.
    Er ließ Zweifel zu. Zweifel an sich selbst, an all dem, was für ihn bis heute unumstößlich gewesen war. Und er gelangte an einen ganz bestimmten Punkt: War es fair, was er diesem Mann unterstellt hatte?
    Nein.
    War er ein Feind des Islam?
    Nein. Er hatte die Wichtigkeit des Islams in der Geschichte seines eigenen Landes anerkannt.
    War er ein Feind der arabischen Welt?
    Nein. Er hatte endlich begonnen, den Bitten der Palästinenser sein Ohr zu schenken.
    War er ein Feind Ahmads?
    Nein. Er war nur gekommen, damit Ahmad ihm zuhörte.


    Said schrieb nicht mehr mit. Die Worte prägten sich in seinem Kopf ein, dass ihm beinahe schwindelig wurde davon. In seinen Gedanken drehte sich alles um diesen großen Visionär, um diesen Träumer, wie er anfangs geglaubt hatte, um die große „Was wäre, wenn“-Frage.
    Was wäre, wenn Obama seine Ziele erreichen würde?
    Wenn er im Nahen Osten Frieden schaffen könnte?
    Wenn es keine Atomwaffen mehr gäbe?
    Wenn er den Krieg in Afghanistan beenden könnte?
    Wenn...
    Einen Augenblick schloss Said die Augen.
    Verdammt, wie schön wäre die Welt dann!

    „Ich möchte das insbesondere an die jungen Menschen aller Glaubensrichtungen in allen Ländern richten Sie, mehr als jeder andere, haben die Fähigkeit, diese Welt neu zu erdenken, neu zu gestalten.“

    Said glaubte, den Blick des Präsidenten auf sich zu spüren. Im Grunde war es so dunkel, dass Obama ihn gar nicht sehen konnte, aber dennoch. Der junge Journalist spürte, dass von diesem Moment an mit diesem einen Satz aus dem Munde eines Präsidenten eine neue Aufgabe auf seinen Schultern lastete. Die Aufforderung war so richtig, so vollkommen klar und verständlich, dass es Said unmöglich war, sich ihres Zaubers zu entziehen.
    Mit einem leisen Nicken, mehr für sich selbst als für irgendjemand sonst, nahm er die Aufgabe an. Er würde die Herausforderung annehmen. Er hatte die Fähigkeit und würde sie nutzen. Er würde diese Welt gemeinsam mit vielen anderen jungen Menschen neu erdenken, neu gestalten. Er wollte es!

    Ahmads Widerstand brach in sich zusammen. Die alten Säulen seiner Überzeugungen barsten unter lautem Krachen.
    Gemeinsam mit den anderen Menschen, die neben ihm standen, jubelte er einem amerikanischen Präsidenten zu, einem amerikanischen Präsidenten im Fernsehen.
    Aber dieser Präsident hatte Recht!
    Er sagte die Wahrheit, wenn er davon sprach, dass ihnen allen diese Welt nur für einen winzigen Augenblick gehörte. Und er sagte die Wahrheit, wenn er sagte, dass es einfacher sei, die Unterschiede zu betrachten als die Gemeinsamkeiten.
    Der Schimmer, den Ahmand vorher in den Augen der anderen gesehen hatte, trübte nun auch seinen Blick. Es war unfassbar


    Noch einmal brandete Applaus auf, als Präsident Obama ein weiteres Mal den Koran zitierte.

    „Der Heilige Koran lehrt uns: „Oh Ihr Menschen, wir haben Euch von einem männlichen und einem weiblichen Wesen erschaffen, und wir haben euch zu Verbänden und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt.“

    Ahmad sprach die Worte leise mit. Er kannte sie. Er kannte den Koran. Und er wusste, dass der Präsident von Amerika ihn auch kennen musste. Aber selbst wenn er ihn nicht kannte, Ahmad war klar, dass er ihn verstanden hatte.
    Und das war noch viel wichtiger.


    "Die Menschen auf der Welt können in Frieden zusammenleben. Wir wissen, dass das Gottes Weitblick ist. Jetzt muss es unsere Arbeit hier auf der Erde sein.
    Vielen Dank. Möge der Friede Gottes mit Ihnen sein."


    Said sprang auf und klatschte in die Hände. Dass sein Notizblock von seinem Schoß gerutscht war, dass er die zweite Hälfte seines Stiftes noch immer nicht gefunden hatte, dass er viel zu wenig Notizen hatte, um einen vernünftigen Artikel zu schreiben, das alles spielte keine Rolle. Er hatte eine Aufgabe. Und er war fest davon überzeugt, sie zu erfüllen.

    Ahmad verließ das Elektrogeschäft ohne Fernseher, aber mit zittrigen Knien. Es war unfassbar. Er hatte eigentlich nur seinen Einkauf erledigen wollen... aber kaum war er außer Haus, hatte eine Fernsehübertragung alles durcheinandergebracht, woran er geglaubt hatte, wovon er überzeugt gewesen war, was er gehofft hatte.
    Er hatte geglaubt, Amerika wäre ein Feind des Islams.
    Er war davon überzeugt gewesen, die Rede eines Präsidenten könne nichts bewirken, nichts verändern.
    Er hatte gehofft, dass Obama unverrichteter Dinge wieder abreisen müsste.
    Aber nun war alles anders gekommen. Die Vereinigten Staaten von Amerika schätzten den Islam, weil er Teil ihrer Geschichte war, Obamas Rede hatte sein ganzes Denken verändert und dass er unverrichteter Dinge abreisen würde, das hoffte Ahmad schon längst nicht mehr.
    Er hoffte, er glaubte, er war davon überzeugt, dass Obama nicht nur ihn zum Nachdenken bewogen hatte.


    Ahmad hob den Kopf. Wo war er? Er musste in Gedanken versunken ziellos durch die Stadt spaziert sein. Vor ihm erhob sich ein großes Gebäude mit Türmen, Kuppeln und großen Arkaden. Er erkannte es sofort. Es war die Al Azhar Universität von Kairo.
    Gerade als er sich dessen bewusst wurde, merkte er auch, dass die Straße voller Leute war, die sich aufgeregt und wild gestikulierend miteinander unterhielten. Ein junger Mann rempelte ihn an.


    „Verzeihung, es tut mir Leid... wie ungeschickt von mir!“, stotterte Said und griff geistesgegenwärtig nach dem Arm des Älteren.
    „Kein Problem... nein, es ist nichts passiert. Schon gut!“, antwortete der Fremde.
    Irgendwie wirkte er etwas perplex und durcheinander. Doch Said wusste, dass man von ihm nur dasselbe behaupten konnte.
    Eine peinliche Stille entstand.
    „Sie... sehen nicht aus wie einer der Dozenten...“, murmelte er schließlich.

    Ahmad grinste. Da kam man vor die Universität und wurde schon für einen Dozenten gehalten. Dabei... er musste plötzlich lachen.
    „Nein, mein Junge. Ich bin kein Dozent. Eigentlich ging ich heute Morgen aus dem Haus in der Absicht, einen Fernseher zu kaufen. Aber... ein gewisser Mann hielt mich mit seinen eindrucksvollen Worten davon ab.“
    Sein Blick wanderte über die Fassade der Universität.


    Saids Mundwinkel wanderten nach oben, als er antwortete.
    „Wahrscheinlich war es derselbe Mann, der mich davon abgehalten hat, mir Notizen von seiner Rede zu machen!“

    Die beiden musterten einander. Ahmad grinste noch immer und Saids Lippen umspielte ein leichtes Lächeln. Der junge Journalist und der ältere Herr, den nur das Schicksal auf den Platz vor der Universität geführt hatte.

    Said schmunzelte, als er sich mit den Worten des Präsidenten verabschiedete.
    „Ich muss gehen. Möge der Frieden Allahs mit Ihnen sein!“

    Ahmad nickte dem Jungen freundlich zu.
    „Assalam alaikum, junger Freund!“


    Zuletzt von Pooly am Fr 25 Jan 2013, 12:35 bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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    Beitrag von June Mo 08 Feb 2010, 14:01

    Hallo, ihr beiden :)

    Eigentlich hatte ich mir gestern schon vorgenommen, eure beiden Werke hier zu kommentieren und mich für eines zu entscheiden, das meine Stimme haben soll, aber...
    Eure Texte waren beide so lang, dass ich gestern nur den ersten und heute noch den zweiten gelesen habe ^^"

    Zum ersten Text:
    Das ist ein Thema, bei dem sich mir alles kräuselt. Wie kann man denn glauben, die Wiedervereinigung wäre schlecht gewesen?
    Ich weiß, das ist nur eine Geschichte, aber leider gibt es Leute, die das denken. Es freut mich, dass du nicht dazu gehörst.
    Trotzdem gefällt mir an deiner Geschichte nicht, dass du das Westkind als denjenigen darstellst, der das toll fand. Es ist nicht so, dass sich ein Ostkind alles anders wünschen würde.
    Ich persönlich bin etwas genau dazwischen und ich HASSE es immer noch, wenn ich Statistiken sehe, die Ost und West trennen.
    Das ist eigentlich auch schon der einzige Punkt, der mich an deiner Geschichte stört :)

    Zur zweiten:
    Wow!
    Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet. Eine Geschichte über Obama *_*
    Und dann noch so eine!
    Man spürt richtig den Zauber dieses Präsidenten, wie er es geschafft hat, sogar uns hier für sich einzunehmen. Eine wirklich wundervolle Geschichte!
    Die bekommt meine Stimme :)
    Weil ich nichts zu meckern gefunden habe ^^

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    Beitrag von moriazwo Mi 17 Feb 2010, 12:33

    Zum ersten Text:
    Ich habe in den Jahren zwischen 1979 und 1984 in West-Berlin studiert. Die Geschichte, die nach dem 2. Weltkrieg zur deutschen Spaltung geführt hat, war in dieser Stadt allgegenwärtig und präsent. Unzählige Male befuhr ich die Transitstrecke von Berlin nach Helmstedt und unterzog mich den teilweise mühseligen Kontollen an den Grenzübergängen. Für mich war die DDR ein Faktum und ich hätte damals jeden Eid geschworen, dass beide deutsche Staaten sich ideologisch bereits so weit voneinander entfernt hatten, dass eine Wiedervereinigung undenkbar war. Allein das so genannte "Ostfernsehen" und "Ostradio", das ich in Berlin teilweise verfolgte, bekräftigte diese Ansicht nur noch.
    Nun hatte unsere Familie keine verwandtschaftlichen Bande in die DDR. Ok, ich hatte einen Onkel, der seinerzeit als katholischer Pfarrer eine Gemeinde in Elsterwerda leitete, aber dieser Onkel war lange schon im Ruhestand und lebte in Bayern.
    Trotzdem wurde ich immer nervöser, als sich die geschichtlichen Ereignisse zum Ende der 80er Jahre überschlugen, nachdem Michail Gorbatschow die Leitung im Kreml übernahm und Ungarn seine Grenzen in den Westen öffnete. Ich hätte niemals vermutet, dass diese Maßnahme innerhalb so kurzer Zeit zum totalen Verfall der DDR führen würde. Trotzdem ist es geschehen.
    Den eigentlichen Mauerfall habe ich leider nur am Bildschirm mitverfolgen können und ich muss gestehen, dass ich dabei Tränen in den Augen hatte - wie fast alle Menschen, die - auf die eine oder andere Weise - diesem Ereignis beiwohnen durften und das gilt sowohl für die Menschen im Westen, als auch für die Menschen im Osten. Im Grunde wurden die Bezeichnungen Ost und West in dieser Stunde zu rein geographischen Bezeichnungen degradiert. Leider führte die Politik in der Folgezeit dazu, dass Ost und West nicht so nahtlos zusammenwuchsen, wie man es gern gesehen hätte.
    Den Mauerfall jedoch als historische Tatsache in Frage zu stellen, ist etwas hart an der Grenze dessen, was ich erträglich finde. Die Wiedervereinigung war gut und sicherlich das Beste, was uns seit Langem passiert ist. Nur hatte man die Menschen im Osten, wie im Westen belogen, in dem man den Menschen im Westen erzählt hatte, dass man die Wiedervereinigung quasi zum Nulltarif bekommen würde, während man den Menschen im Osten "blühende Landschaften" versprochen hatte. Das hätte man lassen sollen und stattdessen die Schwierigkeiten und Probleme offenlegen müssen. Die Mühe hat sich allemal gelohnt.
    Die Darstellung in der Geschichte, dass "Westler" die Öffnung toll fanden, während die "Ostler" sie im Grunde nicht gewollt hatten, halte ich schlichtweg für falsch. Befürworter und Gegner hat es zu allen Zeiten auf beiden Seiten gegeben.
    Ach ja: Die Mauer wurde 1961 gebaut - im Text las ich etwas über die Ereignisse von 1963.

    Zum 2. Text:
    Ja, ja, Obama. Dieser erste, farbige Präsident der Vereinigten Staaten hat ein unbestritten gewaltiges Charisma. Zwar ist sein Sockel, auf den ihn viele seiner Wähler zu Beginn gestellt haben, inzwischen etwas verwittert, doch das ist nicht unbedingt seine Schuld. Obama hat Ziele - hochfliegende Ziele und diese vertritt er mit einer Vehemenz, die natürlich schnell Gegenwind seiner politischen Gegner hervorruft. Sie fürchten die Veränderung, die Obama bringen könnte. Leider treffen ihre politschen Messerstiche bei der breiten Masse - die seit über 2000 Jahren sowieso weitgehend auf panem et circenses steht - auf offene Ohren. Doch das ist es ja nicht, wovon diese Geschichte handelt.
    Die Autorin verquickt hier drei Ebenen in absolut beeindruckender Art und Weise. Menschen aus absolut unterschiedlichen sozialen Schichten und von unterschiedlicher Bildung werden unbeabsichtigt durch Obamas Rede in ihren Bann gezogen. Der Journalist vergisst letztlich, sich weitere Notizen zu machen, der einfache Mann, der zunächst an seiner - vom Hass auf die Ungläubigen geprägten - Einstellung festhält, beginnt in seinen Idealen zu wanken - ändert schließlich seine Meinung. Wie gewaltig muss Obamas Charisma sein, dass er es schafft, in Kairo bei einer Rede so etwas in seinen Zuhörern zu bewirken? Die Antwort ist ganz einfach: Weil er meint, was er sagt. Er bringt den Menschen Hoffnung und er meint es auch so.
    Das ist in der Geschichte auf faszinierende Weise deutlich gemacht worden.
    Die beiden Männer anschließend auch noch aufeinandertreffen zu lassen, fand ich amüsant. Außerdem bildete es einen runden Abschluss.
    Diese Geschichte erhält meine Stimme!

    Gruß
    Michael

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