Hallo ihr alle!
Was ihr hier lest, ist eine Geschichte, deren Anfang auf einem Traum basiert, den ich vor Kurzem hatte. Daher bin ich mir noch nicht sicher, in welche Richtung sich das Ganze entwickeln wird...
Vielleicht bringen mich ja ein paar von euren Kommentaren auf den richtigen Gedanken...
Ich freue mich auf eure Meinungen und eure Kritik
Lyra
Ich habe nie wirklich verstanden, warum der Aufzug nur in den obersten beiden Ebenen eingebaut worden war. Immerhin hatte das Gebäude zehn Stockwerke und am Geld konnte es nicht liegen. Doch es schien niemanden zu kümmern, dass die Angestellten sich mit der Treppe zufrieden geben mussten, während Hob und seine Männer per Hubschrauber auf dem Dach abgesetzt wurden. Von dort aus gelangten sie durch einen schwer bewachten Eingang direkt zu ihren Büros.
Genau genommen war die Verbindung von neuntem und zehntem Stock völlig überflüssig, da sich niemand mit den Angelegenheiten derer beschäftigte, die sich auf der jeweils anderen Seite des Lifts befanden. Dennoch waren alle aufeinander angewiesen: Hob steuerte das Geld bei, das den Menschen einen Arbeitsplatz sicherte und im Gegenzug hielten sie die Firma am Laufen, in deren Hintergrund er ungestört seine schmutzigen Geschäfte erledigte. Ein fairer Deal.
Die seltenen Gelegenheiten, bei denen man den Aufzug dann doch einmal in Betrieb nahm, waren kaum der Mühe wert. Entweder brachte einer von Hobs Laufburschen ein paar mäßig wichtige Dokumente zu Clark Palms, dem offiziellen Gesicht des Unternehmens, sodass dieser die Fassade des seriösen Unternehmers aufrecht halten konnte. Oder aber (und das geschah eigentlich fast nie) man wurde zum Boss gerufen. Es kam deswegen so selten vor, weil Hob von Natur aus sehr misstrauisch war, was seine Mitarbeiter anging. Schließlich könnte jemand plaudern.
Natürlich gab es etliche geheime Verstecke, an denen die wirklich wichtigen Dinge geregelt wurden. Aber manchmal, wenn etwas passierte, was weniger die Geschäfte sondern vielmehr jemanden persönlich betraf, und dieser Jemand ein langjähriges und loyales Verhältnis zu ihm pflegte, dann wählte Hob gerne die Chefetage als neutralen Treffpunkt.
Nun, ich war so ein Jemand. Und auch wenn ich im Gegensatz zu gewissen anderen Personen gut mit dem Boss klar kam, bedeutete diese Art von Treffen meist etwas Schlechtes.
Diesmal war es nicht anders gewesen.
Während der Fahrstuhl leise abwärts rauschte, blieb mir kaum genug Zeit, über das eben Gehörte nachzudenken.
Später, sagte ich mir. Komm erst mal hier raus.
Als die Türen des Aufzugs sich öffneten, hatte ich eine ausdruckslose Miene aufgesetzt. Niemand würde bemerken, wie aufgewühlt mein Innerstes gerade war. Die Hände in den Hosentaschen versunken, ging ich schnurstracks geradeaus in Richtung Treppenhaus. Links und rechts von mir waren, soweit das Auge reichte, Bürotische, an denen man das geschäftige Treiben der Angestellten beobachten konnte. Manche lasen Zeitung und tranken dabei Kaffee, die meisten aber telefonierten, ordneten Papiere oder hackten auf ihrer Tastatur herum, als sei jeder ihrer Finger der Schnabel eines verhungernden Huhns, das mit den anderen um das letzte Futterkorn kämpft.
Scheinbar gelangweilt schritt ich an den Reihen arbeitender Menschen vorbei, von denen mir niemand größere Beachtung schenkte. Dennoch blieb ich auf der Hut. Mir war es nicht verboten hier zu sein, doch auch für mich barg dieses Treffen Risiken. Sollte mein derzeitiger Aufenthaltsort einem Cookie bekannt werden, könnte das sehr unangenehme Folgen für mich haben.
Die Cookies waren Mitglieder einer ursprünglich privat gegründeten Organisation, die gegen ‚Koordinierte Kriminalität‘ vorging, wie sie es nannten. Aus diesem Slogan war irgendwann die Bezeichnung Cookies entstanden, obwohl sie offiziell gar nicht so hießen. Die Truppe arbeitete recht erfolgreich, jedenfalls erfolgreich genug, um von der örtlichen Polizei als Spezialeinheit für die heiklen Fälle eingesetzt zu werden. Für uns also.
Doch bisher verlief alles gut. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgendwelche Komplikationen geben sollte.
Vor vielen Jahrzehnten war nämlich eine Abmachung getroffen worden, die das Gebäude, in dem ich mich befand, zu einer Art krimineller Grauzone machte. Die meisten Leute wussten, dass der Boss hier irgendwelche krummen Dinger drehte, aber für die Behörden war der Zugriff auf diesem Gelände tabu. Auch wenn sich keiner mehr an die genauen Umstände der Vereinbarung erinnerte, so hatte man sich seither stets an sie gehalten. Oberflächlich betrachtet ein schlechtes Geschäft für die Cookies. Doch ich bin mir sicher, damals sprang auch einiges für sie dabei heraus, sonst wäre man auf solch einen Deal bestimmt nicht eingegangen.
Auf halber Höhe zum Treppenhaus fiel mir dann aber doch noch etwas Ungewöhnliches auf. Ich vernahm ein leises Hecheln, es musste von rechts kommen. Kurz darauf rückte der Hund, von dem das Geräusch ausging, in mein Blickfeld. Ich stutzte. Normalerweise nahm nie jemand seinen Hund mit in die Firma, schon gar nicht bis nach ganz oben.
Im Vorbeigehen nahm ich den Hundebesitzer näher in Augenschein. Gerade kraulte er das Tier hinter den Ohren. Viel konnte ich nicht erkennen, da er mit dem Rücken zum Gang saß. Jung war er, vielleicht drei oder vier Jahre älter als ich, höchstens fünfundzwanzig. Kurze dunkle Haare, grauer Anzug, nichts Außergewöhnliches.
Und doch kam er mir bekannt vor.
Es wäre zu auffällig gewesen, ihn noch länger zu begutachten, also wandte ich den Kopf ab und ging zielstrebig weiter. Beim Laufen rief ich mir seine Erscheinung noch einmal ins Gedächtnis und suchte sie nach irgendeinem Hinweis auf seine Identität ab. Keine Brille, keine Ohrringe, keine Piercings. Weder Krawattennadel noch Manschettenknöpfe hatte ich von meiner Position aus erkennen können.
Aber da war ein Ring gewesen. Ein Ring am Mittelfinger seiner rechten Hand, die, mit der er den Hund gestreichelt hatte. Ein dunkler Stein, eingeschlossen in einer von silbernen Ranken umgebenen Fassung. Ich erkannte ihn sofort. Es war das traditionelle Abschlussgeschenk für die drei erfolgreichsten Absolventen der Bakery. (Eigentlich hieß sie Philis-Baker-Academy, die Ausbildungsstätte schlechthin für neue Polizisten. Die Jahrgangsbesten endeten meist als Cookie und da der Name der Gründerin wie dafür geschaffen war, nannte man sie nur die Bakery.)
Nun wurde mir auch klar, wer da an dem Schreibtisch hinter mir saß: Benjamin Morten, jüngster Special Agent in der Einheit. Ein kleines Genie, wenn man seiner Akte glauben durfte. Wir waren uns schon bei etlichen seiner Einsätze begegnet. Gleichwohl befand ich mich noch immer auf freiem Fuß, weshalb er mir nicht so begabt zu sein schien, wie alle behaupteten. Aber nun saß er hier.
Vielleicht sollte ich meine Meinung noch einmal überdenken.
Morten unterhielt sich angeregt mit einem der Angestellten. Er würde mich sicher nicht sehen. Mehr Sorgen machte mir da der Hund. Wenn er mit einem Special Agent umherzog, war er bestimmt einer der allseits gefürchteten Sniffer. Die Mischung aus hochsensiblem Spürsinn für Dinge, die sich nicht so verhielten wie sie sollten, und animalischer Freude an blutrünstigen Hetzjagden machten sie zu einer der gefährlichsten und oft sogar tödlichsten Waffen der Cookies.
Auch wenn mich das Abkommen momentan schützte, wollte ich eine direkte Konfrontation mit dem Sniffer lieber vermeiden. Ihm war es egal, wo er zuschlug. Es wurde höchste Zeit, dass ich hier rauskam.
Sobald sich die gläsernen Schiebetüren, die in jeder Etage den Eingang zu den Büros bildeten, lautlos geöffnet hatten, schlüpfte ich um die Ecke ins Treppenhaus. Jetzt hieß es, die Beine in die Hand zu nehmen, bevor der Hund mich bemerkte. Immer zwei Stufen überspringend hastete ich die Treppe hinunter. Zwölf Stufen geradeaus, 180-Grad-Kehrtwende und nochmal zwölf Stufen geradeaus, dann stand ich im nächsttieferen Stockwerk.
Ich war gerade erst am Eingang zur siebten Etage vorbeigerauscht, da hörte ich von ganz oben ein lautes Kläffen, gefolgt von einem kleinen Tumult.
Shit! Das war der Hund gewesen. Er hatte mich gewittert.
Hals über Kopf raste ich die Treppe hinunter. Meine Angst, dem Tier in die Fänge zu geraten, stachelte mich an. Doch würde ich schneller sein als der Sniffer? Ein Nein konnte ich mir als Antwort darauf nicht leisten.
Im fünften Stock hörte ich das Knurren der Bestie, die scheinbar rasend vor Wut durch das Treppenhaus jagte. Auch Fußgetrappel drang an meine Ohren. Morten war mir also ebenfalls auf den Fersen.
Auf halber Höhe zur vierten Etage sah ich vor mir eine kleine Menschentraube am Büroeingang stehen.
„Weg da!“, brüllte ich den Leuten entgegen. Natürlich reagierten sie viel zu langsam und ich verlor wertvolle Zeit, während ich mich durch die verwirrte Menge wühlen musste. Das Geräusch herannahender Pfoten wurde bedrohlich laut. Es lag nur noch ein Stockwerk zwischen mir und dem Untier.
Nur noch ein bisschen, feuerte ich mich beim Passieren des dritten Stockwerks an. Ich versuchte gleichmäßig ein und aus zu atmen, um ein Seitenstechen zu vermeiden, doch das fiel mir zunehmend schwerer.
Als ich um die nächste Biegung rauschte, dröhnte das Trommeln der Pfoten in meinem Kopf. Selbst Mortens Schritte klangen schon gefährlich nah.
Auf halber Höhe zum ersten Stock wusste ich, dass ich es niemals schaffen würde, hier herauszukommen. Ich warf einen Blick zurück und sah den Sniffer um die letzte Biegung preschen. Verzweifelt rannte ich weiter, auch wenn jede Hoffnung verloren war.
Die letzten Sekunden erlebte ich wie in Zeitlupe.
Drei Stufen, dann war der massige Leib des Hundes hinter mir.
Nochmal drei Stufen und ich spürte, wie er zum Sprung ansetzte.
Drei Stufen. Es gab kein Entkommen mehr. Wie siedend heißes Wasser ergoss sich die Erkenntnis in meinen Körper.
Kurz vor dem Ende der Treppe spürte ich, wie sich die Krallen des Untiers in meine Schultern gruben und mein T-Shirt zerfetzten.
Die Wucht des Hundes schleuderte mich nach vorn. Ich fiel, der Hund halb hinter, halb über mir; vor mir die Glasfront, die zu den Büros führte. Im letzten Moment riss ich die Arme nach oben, um mein Gesicht vor der Kollision zu schützen.
Dann kam der Aufprall.
In einem Kristallregen aus Glassplittern barst die Scheibe – mit mir mittendrin. Ich spürte kaum, wie ich auf dem Boden aufschlug. Plötzlich war die Welt ein Meer aus Scherben und Blut, über mir der riesige geifernde und hechelnde Köter.
Das ist das letzte, an das ich mich erinnere, bevor mich die Schwärze meines Bewusstseins in ihre Tiefen zog.
Was ihr hier lest, ist eine Geschichte, deren Anfang auf einem Traum basiert, den ich vor Kurzem hatte. Daher bin ich mir noch nicht sicher, in welche Richtung sich das Ganze entwickeln wird...
Vielleicht bringen mich ja ein paar von euren Kommentaren auf den richtigen Gedanken...
Ich freue mich auf eure Meinungen und eure Kritik
Lyra
I.
Wie betäubt betrat ich den Aufzug und wartete darauf, dass sich die Türen schlossen. Mein Daumen drückte auf den Knopf nach unten. Keine Zahl für ein Stockwerk, einfach abwärts. Es gab nur diese beiden Möglichkeiten: Pfeil nach oben oder Pfeil nach unten. Der Fahrstuhl pendelte lediglich zwischen zwei Etagen hin und her, da lohnten sich keine Schilder mit Nummern drauf. Ich habe nie wirklich verstanden, warum der Aufzug nur in den obersten beiden Ebenen eingebaut worden war. Immerhin hatte das Gebäude zehn Stockwerke und am Geld konnte es nicht liegen. Doch es schien niemanden zu kümmern, dass die Angestellten sich mit der Treppe zufrieden geben mussten, während Hob und seine Männer per Hubschrauber auf dem Dach abgesetzt wurden. Von dort aus gelangten sie durch einen schwer bewachten Eingang direkt zu ihren Büros.
Genau genommen war die Verbindung von neuntem und zehntem Stock völlig überflüssig, da sich niemand mit den Angelegenheiten derer beschäftigte, die sich auf der jeweils anderen Seite des Lifts befanden. Dennoch waren alle aufeinander angewiesen: Hob steuerte das Geld bei, das den Menschen einen Arbeitsplatz sicherte und im Gegenzug hielten sie die Firma am Laufen, in deren Hintergrund er ungestört seine schmutzigen Geschäfte erledigte. Ein fairer Deal.
Die seltenen Gelegenheiten, bei denen man den Aufzug dann doch einmal in Betrieb nahm, waren kaum der Mühe wert. Entweder brachte einer von Hobs Laufburschen ein paar mäßig wichtige Dokumente zu Clark Palms, dem offiziellen Gesicht des Unternehmens, sodass dieser die Fassade des seriösen Unternehmers aufrecht halten konnte. Oder aber (und das geschah eigentlich fast nie) man wurde zum Boss gerufen. Es kam deswegen so selten vor, weil Hob von Natur aus sehr misstrauisch war, was seine Mitarbeiter anging. Schließlich könnte jemand plaudern.
Natürlich gab es etliche geheime Verstecke, an denen die wirklich wichtigen Dinge geregelt wurden. Aber manchmal, wenn etwas passierte, was weniger die Geschäfte sondern vielmehr jemanden persönlich betraf, und dieser Jemand ein langjähriges und loyales Verhältnis zu ihm pflegte, dann wählte Hob gerne die Chefetage als neutralen Treffpunkt.
Nun, ich war so ein Jemand. Und auch wenn ich im Gegensatz zu gewissen anderen Personen gut mit dem Boss klar kam, bedeutete diese Art von Treffen meist etwas Schlechtes.
Diesmal war es nicht anders gewesen.
Während der Fahrstuhl leise abwärts rauschte, blieb mir kaum genug Zeit, über das eben Gehörte nachzudenken.
Später, sagte ich mir. Komm erst mal hier raus.
Als die Türen des Aufzugs sich öffneten, hatte ich eine ausdruckslose Miene aufgesetzt. Niemand würde bemerken, wie aufgewühlt mein Innerstes gerade war. Die Hände in den Hosentaschen versunken, ging ich schnurstracks geradeaus in Richtung Treppenhaus. Links und rechts von mir waren, soweit das Auge reichte, Bürotische, an denen man das geschäftige Treiben der Angestellten beobachten konnte. Manche lasen Zeitung und tranken dabei Kaffee, die meisten aber telefonierten, ordneten Papiere oder hackten auf ihrer Tastatur herum, als sei jeder ihrer Finger der Schnabel eines verhungernden Huhns, das mit den anderen um das letzte Futterkorn kämpft.
Scheinbar gelangweilt schritt ich an den Reihen arbeitender Menschen vorbei, von denen mir niemand größere Beachtung schenkte. Dennoch blieb ich auf der Hut. Mir war es nicht verboten hier zu sein, doch auch für mich barg dieses Treffen Risiken. Sollte mein derzeitiger Aufenthaltsort einem Cookie bekannt werden, könnte das sehr unangenehme Folgen für mich haben.
Die Cookies waren Mitglieder einer ursprünglich privat gegründeten Organisation, die gegen ‚Koordinierte Kriminalität‘ vorging, wie sie es nannten. Aus diesem Slogan war irgendwann die Bezeichnung Cookies entstanden, obwohl sie offiziell gar nicht so hießen. Die Truppe arbeitete recht erfolgreich, jedenfalls erfolgreich genug, um von der örtlichen Polizei als Spezialeinheit für die heiklen Fälle eingesetzt zu werden. Für uns also.
Doch bisher verlief alles gut. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgendwelche Komplikationen geben sollte.
Vor vielen Jahrzehnten war nämlich eine Abmachung getroffen worden, die das Gebäude, in dem ich mich befand, zu einer Art krimineller Grauzone machte. Die meisten Leute wussten, dass der Boss hier irgendwelche krummen Dinger drehte, aber für die Behörden war der Zugriff auf diesem Gelände tabu. Auch wenn sich keiner mehr an die genauen Umstände der Vereinbarung erinnerte, so hatte man sich seither stets an sie gehalten. Oberflächlich betrachtet ein schlechtes Geschäft für die Cookies. Doch ich bin mir sicher, damals sprang auch einiges für sie dabei heraus, sonst wäre man auf solch einen Deal bestimmt nicht eingegangen.
Auf halber Höhe zum Treppenhaus fiel mir dann aber doch noch etwas Ungewöhnliches auf. Ich vernahm ein leises Hecheln, es musste von rechts kommen. Kurz darauf rückte der Hund, von dem das Geräusch ausging, in mein Blickfeld. Ich stutzte. Normalerweise nahm nie jemand seinen Hund mit in die Firma, schon gar nicht bis nach ganz oben.
Im Vorbeigehen nahm ich den Hundebesitzer näher in Augenschein. Gerade kraulte er das Tier hinter den Ohren. Viel konnte ich nicht erkennen, da er mit dem Rücken zum Gang saß. Jung war er, vielleicht drei oder vier Jahre älter als ich, höchstens fünfundzwanzig. Kurze dunkle Haare, grauer Anzug, nichts Außergewöhnliches.
Und doch kam er mir bekannt vor.
Es wäre zu auffällig gewesen, ihn noch länger zu begutachten, also wandte ich den Kopf ab und ging zielstrebig weiter. Beim Laufen rief ich mir seine Erscheinung noch einmal ins Gedächtnis und suchte sie nach irgendeinem Hinweis auf seine Identität ab. Keine Brille, keine Ohrringe, keine Piercings. Weder Krawattennadel noch Manschettenknöpfe hatte ich von meiner Position aus erkennen können.
Aber da war ein Ring gewesen. Ein Ring am Mittelfinger seiner rechten Hand, die, mit der er den Hund gestreichelt hatte. Ein dunkler Stein, eingeschlossen in einer von silbernen Ranken umgebenen Fassung. Ich erkannte ihn sofort. Es war das traditionelle Abschlussgeschenk für die drei erfolgreichsten Absolventen der Bakery. (Eigentlich hieß sie Philis-Baker-Academy, die Ausbildungsstätte schlechthin für neue Polizisten. Die Jahrgangsbesten endeten meist als Cookie und da der Name der Gründerin wie dafür geschaffen war, nannte man sie nur die Bakery.)
Nun wurde mir auch klar, wer da an dem Schreibtisch hinter mir saß: Benjamin Morten, jüngster Special Agent in der Einheit. Ein kleines Genie, wenn man seiner Akte glauben durfte. Wir waren uns schon bei etlichen seiner Einsätze begegnet. Gleichwohl befand ich mich noch immer auf freiem Fuß, weshalb er mir nicht so begabt zu sein schien, wie alle behaupteten. Aber nun saß er hier.
Vielleicht sollte ich meine Meinung noch einmal überdenken.
Morten unterhielt sich angeregt mit einem der Angestellten. Er würde mich sicher nicht sehen. Mehr Sorgen machte mir da der Hund. Wenn er mit einem Special Agent umherzog, war er bestimmt einer der allseits gefürchteten Sniffer. Die Mischung aus hochsensiblem Spürsinn für Dinge, die sich nicht so verhielten wie sie sollten, und animalischer Freude an blutrünstigen Hetzjagden machten sie zu einer der gefährlichsten und oft sogar tödlichsten Waffen der Cookies.
Auch wenn mich das Abkommen momentan schützte, wollte ich eine direkte Konfrontation mit dem Sniffer lieber vermeiden. Ihm war es egal, wo er zuschlug. Es wurde höchste Zeit, dass ich hier rauskam.
Sobald sich die gläsernen Schiebetüren, die in jeder Etage den Eingang zu den Büros bildeten, lautlos geöffnet hatten, schlüpfte ich um die Ecke ins Treppenhaus. Jetzt hieß es, die Beine in die Hand zu nehmen, bevor der Hund mich bemerkte. Immer zwei Stufen überspringend hastete ich die Treppe hinunter. Zwölf Stufen geradeaus, 180-Grad-Kehrtwende und nochmal zwölf Stufen geradeaus, dann stand ich im nächsttieferen Stockwerk.
Ich war gerade erst am Eingang zur siebten Etage vorbeigerauscht, da hörte ich von ganz oben ein lautes Kläffen, gefolgt von einem kleinen Tumult.
Shit! Das war der Hund gewesen. Er hatte mich gewittert.
Hals über Kopf raste ich die Treppe hinunter. Meine Angst, dem Tier in die Fänge zu geraten, stachelte mich an. Doch würde ich schneller sein als der Sniffer? Ein Nein konnte ich mir als Antwort darauf nicht leisten.
Im fünften Stock hörte ich das Knurren der Bestie, die scheinbar rasend vor Wut durch das Treppenhaus jagte. Auch Fußgetrappel drang an meine Ohren. Morten war mir also ebenfalls auf den Fersen.
Auf halber Höhe zur vierten Etage sah ich vor mir eine kleine Menschentraube am Büroeingang stehen.
„Weg da!“, brüllte ich den Leuten entgegen. Natürlich reagierten sie viel zu langsam und ich verlor wertvolle Zeit, während ich mich durch die verwirrte Menge wühlen musste. Das Geräusch herannahender Pfoten wurde bedrohlich laut. Es lag nur noch ein Stockwerk zwischen mir und dem Untier.
Nur noch ein bisschen, feuerte ich mich beim Passieren des dritten Stockwerks an. Ich versuchte gleichmäßig ein und aus zu atmen, um ein Seitenstechen zu vermeiden, doch das fiel mir zunehmend schwerer.
Als ich um die nächste Biegung rauschte, dröhnte das Trommeln der Pfoten in meinem Kopf. Selbst Mortens Schritte klangen schon gefährlich nah.
Auf halber Höhe zum ersten Stock wusste ich, dass ich es niemals schaffen würde, hier herauszukommen. Ich warf einen Blick zurück und sah den Sniffer um die letzte Biegung preschen. Verzweifelt rannte ich weiter, auch wenn jede Hoffnung verloren war.
Die letzten Sekunden erlebte ich wie in Zeitlupe.
Drei Stufen, dann war der massige Leib des Hundes hinter mir.
Nochmal drei Stufen und ich spürte, wie er zum Sprung ansetzte.
Drei Stufen. Es gab kein Entkommen mehr. Wie siedend heißes Wasser ergoss sich die Erkenntnis in meinen Körper.
Kurz vor dem Ende der Treppe spürte ich, wie sich die Krallen des Untiers in meine Schultern gruben und mein T-Shirt zerfetzten.
Die Wucht des Hundes schleuderte mich nach vorn. Ich fiel, der Hund halb hinter, halb über mir; vor mir die Glasfront, die zu den Büros führte. Im letzten Moment riss ich die Arme nach oben, um mein Gesicht vor der Kollision zu schützen.
Dann kam der Aufprall.
In einem Kristallregen aus Glassplittern barst die Scheibe – mit mir mittendrin. Ich spürte kaum, wie ich auf dem Boden aufschlug. Plötzlich war die Welt ein Meer aus Scherben und Blut, über mir der riesige geifernde und hechelnde Köter.
Das ist das letzte, an das ich mich erinnere, bevor mich die Schwärze meines Bewusstseins in ihre Tiefen zog.
Teil II.1
Zuletzt von LyraLaJeune am Di 27 März 2012, 08:28 bearbeitet; insgesamt 7-mal bearbeitet