»Die Natur kennt keine Traurigkeit«
»Ein weißer Schmetterling flog herbei und setzte sich dazu. Mit einer leichten Handbewegung verscheuchte er ihn, ohne ihn zu berühren.
Sein Zickzackflug war das Gegenteil der geraden, zielgerichteten Flugbahn der Bleikugel aus dem Dunkel des glänzenden Gewehrlaufs.
Ein Schmetterling auf einem Gewehr verspottet dieses zugleich. Sein geradliniges Ziel wird vom Zickzackflug des Schmetterlings verhöhnt,
der, wo immer er landet, seinen Zielpunkt mit sich führt. Wo der Schmetterling sich niederlässt, dort ist das Zentrum.«
Sein Zickzackflug war das Gegenteil der geraden, zielgerichteten Flugbahn der Bleikugel aus dem Dunkel des glänzenden Gewehrlaufs.
Ein Schmetterling auf einem Gewehr verspottet dieses zugleich. Sein geradliniges Ziel wird vom Zickzackflug des Schmetterlings verhöhnt,
der, wo immer er landet, seinen Zielpunkt mit sich führt. Wo der Schmetterling sich niederlässt, dort ist das Zentrum.«
Gebundene Ausgabe: 112 Seiten
Verlag: Graf Verlag
Erschienen: 30. September 2011
ISBN-10: 3862200078
ISBN-13: 978-3862200078
Originaltitel: Il peso della farfalla
Verlag: Graf Verlag
Erschienen: 30. September 2011
ISBN-10: 3862200078
ISBN-13: 978-3862200078
Originaltitel: Il peso della farfalla
I N H A L T
Ein flirrend klarer, strahlender Novembertag, hoch in den Bergen. Zum letzten Mal nimmt der alte Wilderer den steinigen Weg auf sich: Über dreihundert Tiere hat er im Lauf seines Lebens erlegt, lange schon lebt er als Eremit. Nur ein einziges fehlt ihm noch: Der König der Gemsen, dieses starke, beinahe unbezwingbare Tier, dessen Mutter er einst ins Tal wuchtete. Im Tal hängen schon die Nebel und die Menschen gedenken ihrer Toten, wenn für das Wild die Zeit des Aufbruchs und der Revierkämpfe beginnt. Der Zeitpunkt ist gekommen für das seit Jahren aufgeschobene, letzte Duell. Zwei Einzelgänger, ähnlich willensstark und kompromisslos, Mensch und Tier, bewegen sich langsam und unausweichlich aufeinander zu. Am Ende ist es ein weißer Schmetterling, zu Eis gefroren auf dem Horn des Gamsbocks, der für den schicksalhaften Ausgleich sorgt.
Ü B E R - D E N - A U T O R E N
Erri De Luca, geboren 1950 in Neapel, begann erst mit vierzig zu schreiben. Als Autodidakt lernte er Hebräisch und übersetzte Teile der Bibel neu. Heute zählt er zu den meistgelesenen Schriftstellern Italiens. Seine Romane haben Kultstatus und sind auch in Israel und Frankreich Bestseller. In Deutschland wurde Der Tag vor dem Glück in der Presse begeistert gefeiert. 2010 erhielt Erri De Luca den Petrarca-Preis.
»Das menschliche Gehirn ist ein Wiederkäuer. Es kaut Sinnesinformationen immer wieder durch und leitet Wahrscheinlichkeiten daraus ab. Das befähigt den Menschen, die Zeit vorauszuplanen. Doch zugleich ist es seine Verdammnis, denn es gibt ihm die Gewissheit, sterben zu müssen.«
M E I N E - M E I N U N G
Der Kauf dieses Buches war einer der spontansten in den letzten Wochen. Ich hatte wider Erwarten mein vorheriges Buch schon im Zug ausgelesen gehabt und kein zweites mehr dabei, deswegen ging ich in meiner Wartezeit in die Bahnhofsbuchhandlung in Frankfurt, um mir noch etwas ganz Dünnes für die S-Bahn zu besorgen. Im Grunde hatte ich kein Ziel, denn zurzeit weiß ich nicht, was ich lesen will, weder Jugendliteratur noch Erwachsenen-Literatur, weder Fantasy, SciFi, Historik noch Belletristik interessieren mich zurzeit sonderlich, deswegen ging ich mit dem Ziel in den Buchladen, mit das dünnste Buch zu kaufen, das mir zwischen die Finger fiel. Dieses hier war schnell gefunden, auch wenn der Preis unerwartet hoch war, immerhin sind 15 Euro für knapp hundert Seiten schon recht viel – aufgrund des schönen Titels entschied ich mich aber doch für den Kauf und bin unglaublich froh, dieses kleine Buch entdeckt zu haben, denn es war ein wundervolles Leseerlebnis, auch wenn es nur kurz währte – das beste seit Langem, möchte ich sagen.
Die Zeilen stecken voller Poesie, voller Gedanken und Anregungen und enthalten dabei genau das, was ich bei meiner vorherigen Lektüre so vermisst hatte: Die Freiheit, sich die Erkenntnisse, die zwischen den Zeilen zu finden sind, selbst herauszusuchen, selbst zu entscheiden, ob Andeutungen als wichtig erachtet und als wahr befunden werden können, oder nicht. Jede Seite enthält ein kleines Geheimnis, eine kleine Offenbarung, die alle in ihrer Gesamtheit ein warmes Gefühl zurückgelassen haben. Das warme Gefühl, nach dem Lesen eines Buches ein Stück dazu gewonnen zu haben, ein Stück Erfahrung und einen neuen Gedanken, ein neues Gefühl, mit dem man die Dinge betrachten kann.
Die Geschichte ist generell inhaltlich sehr verschachtelt erzählt, so taucht man immer wieder während der gegenwärtigen Handlung in Erinnerungen ein und innerhalb dieser Erinnerungen wieder in andere Erinnerungen, Erklärungen und Geschichten. Was anfangs aber noch etwas wirr wirkt, fügt sich am Ende zu einem schlüssigen Ganzen zusammen und man erkennt bald: Das, was man hier liest, ist nicht das erwartete und übliche Spiel von Gut gegen Böse, vom Menschen gegen die Natur. Nein, man beginnt zu verfolgen und zu verstehen. Der Wilderer, dessen Name nie genannt wird, ist in diesem Spiel nicht der Böse, ebenso wenig ist der der Gute. Er ist ein alter Mann, der einer Leidenschaft folgt, er bewundert die Gämsen für ihre Leichtfüßigkeit, für ihre Eleganz und ganz ohne Neid liebt er es, ihrem Spiel zuzusehen, zu beobachten, wie sie miteinander umgehen. »Die Hufe der Gämse sind wie die vier Asse eines Falschspielers. Durch sie ist die Schwerkraft kein Gesetz mehr, sondern eine Variante des Themas.« Schon über 300 hat er erlegt, verdient mit ihrem Fleisch seinen Lebensunterhalt, aber er ist dabei nicht darauf aus, große Massen zu töten, der nimmt sich nur, was er braucht – und genießt dabei trotzdem die Herausforderung.
Dass er und der besonders prächtige Bock, den er erlegen möchte, gar nicht so verschieden sind, bemerkt man bald. Beide dem Ende nahe, beide werden alt und wissen, dass ihre Zeit gekommen ist. Diese Erkenntnis hat mich beim Lesen in gewissem Maße berührt, denn sie trägt eine gewisse Dramatik, vor allem verleiht sie der Situation aber etwas Wahres, etwas Natürliches und etwas Endgültiges – und trotzdem fällt es leicht, genau das zu akzeptieren. Sterblichkeit als ein Prozess, der uns alle heimsucht, natürlich und friedlich.
»Das Gewicht des Schmetterlings«. Ein wundervoller Titel, über den man eine ganze Weile nachdenken kann, wenn man das Buch gelesen hat, denn ganz klar wird eines: Immer wieder wird die Eleganz der Gämsen beschrieben, die wie schwerelos und leicht über die Berge springen, als würden sie rein gar nichts wiegen. Und im Gegenzug dazu der leichte Schmetterling, der die ganze Last eines Lebens auf seine Flügel laden kann.
Ein wundervolles, kleines Buch, das zwar sehr schnell zu lesen ist, aber dessen Stimmung lange noch nachklingt. Poetisch und tiefgründig erzählt es eine Geschichte, die ebenso schwer wie leicht ist.
Die Zeilen stecken voller Poesie, voller Gedanken und Anregungen und enthalten dabei genau das, was ich bei meiner vorherigen Lektüre so vermisst hatte: Die Freiheit, sich die Erkenntnisse, die zwischen den Zeilen zu finden sind, selbst herauszusuchen, selbst zu entscheiden, ob Andeutungen als wichtig erachtet und als wahr befunden werden können, oder nicht. Jede Seite enthält ein kleines Geheimnis, eine kleine Offenbarung, die alle in ihrer Gesamtheit ein warmes Gefühl zurückgelassen haben. Das warme Gefühl, nach dem Lesen eines Buches ein Stück dazu gewonnen zu haben, ein Stück Erfahrung und einen neuen Gedanken, ein neues Gefühl, mit dem man die Dinge betrachten kann.
Die Geschichte ist generell inhaltlich sehr verschachtelt erzählt, so taucht man immer wieder während der gegenwärtigen Handlung in Erinnerungen ein und innerhalb dieser Erinnerungen wieder in andere Erinnerungen, Erklärungen und Geschichten. Was anfangs aber noch etwas wirr wirkt, fügt sich am Ende zu einem schlüssigen Ganzen zusammen und man erkennt bald: Das, was man hier liest, ist nicht das erwartete und übliche Spiel von Gut gegen Böse, vom Menschen gegen die Natur. Nein, man beginnt zu verfolgen und zu verstehen. Der Wilderer, dessen Name nie genannt wird, ist in diesem Spiel nicht der Böse, ebenso wenig ist der der Gute. Er ist ein alter Mann, der einer Leidenschaft folgt, er bewundert die Gämsen für ihre Leichtfüßigkeit, für ihre Eleganz und ganz ohne Neid liebt er es, ihrem Spiel zuzusehen, zu beobachten, wie sie miteinander umgehen. »Die Hufe der Gämse sind wie die vier Asse eines Falschspielers. Durch sie ist die Schwerkraft kein Gesetz mehr, sondern eine Variante des Themas.« Schon über 300 hat er erlegt, verdient mit ihrem Fleisch seinen Lebensunterhalt, aber er ist dabei nicht darauf aus, große Massen zu töten, der nimmt sich nur, was er braucht – und genießt dabei trotzdem die Herausforderung.
Dass er und der besonders prächtige Bock, den er erlegen möchte, gar nicht so verschieden sind, bemerkt man bald. Beide dem Ende nahe, beide werden alt und wissen, dass ihre Zeit gekommen ist. Diese Erkenntnis hat mich beim Lesen in gewissem Maße berührt, denn sie trägt eine gewisse Dramatik, vor allem verleiht sie der Situation aber etwas Wahres, etwas Natürliches und etwas Endgültiges – und trotzdem fällt es leicht, genau das zu akzeptieren. Sterblichkeit als ein Prozess, der uns alle heimsucht, natürlich und friedlich.
»Das Gewicht des Schmetterlings«. Ein wundervoller Titel, über den man eine ganze Weile nachdenken kann, wenn man das Buch gelesen hat, denn ganz klar wird eines: Immer wieder wird die Eleganz der Gämsen beschrieben, die wie schwerelos und leicht über die Berge springen, als würden sie rein gar nichts wiegen. Und im Gegenzug dazu der leichte Schmetterling, der die ganze Last eines Lebens auf seine Flügel laden kann.
»Das Gewicht des Schmetterlings hatte ihm aufs Herz gedrückt, schon leer wie eine geschlossene Faust.«
Ein wundervolles, kleines Buch, das zwar sehr schnell zu lesen ist, aber dessen Stimmung lange noch nachklingt. Poetisch und tiefgründig erzählt es eine Geschichte, die ebenso schwer wie leicht ist.
»Keine Geometrie hat bisher die Form des Eies herausgefunden. Für die Berechnung des Kreises gibt es Pi, aber für die perfekte Lebensform gibt es keine Quadratur. In den Wintermonaten, wenn ringsum alles eingeschneit ist, wird der Mann zum Visionär. In den sonnengeblendeten Augenlidern verwandelt sich der Schnee in Glassplitter. Körper und Schatten formen das Pronomen »Er«. Auf dem Berg ist der Mensch eine Silbe im Wörterbuch.«