Dieser Text stellt eine Szene dar, die in abgewandelter Form in meinem aktuellen Projekt »Der Geschmack des Krieges« vorkommen wird. Er entstand im Rahmen einer Schreibübung, dem »Schreiben gegen die Zeit« (zu einer bestimmten Uhrzeit gibt es eine Themenvorgabe und die Teilnehmer haben exakt 60 Minuten, um daraus eine Kurzgeschichte oder ein Gedicht zu machen). Die Szene spielt in Florenz, in das Albrecht geflohen ist, nachdem er zum Vampir geworden ist. Zu dieser Zeit nennt er sich auch nicht mehr Albrecht, aber das nur nebenbei.
Thema diesmal: Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust
Thema diesmal: Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust
Ekstase und Reue
Der Abend fällt über die Stadt. Die Gassen liegen längst im Dunkeln, der letzte blasse Streif erlischt im Westen. Auf der Piazza hat man Fackeln entzündet, deren Flammen im Wind zucken und tanzen. Mit dem Untergehen der Sonne schleicht sich die Kälte zurück in die Stadt, kriecht über die beigen Fassaden, die in der Nacht so grau und tot erscheinen wie die Steine im Fluss, bis ein Fackelschein sie berührt und ihnen die Wärme wiedergibt. Eine junge Dame, die fröstelnd an mir vorüber eilt und die nach Flieder und Puder riecht, zieht sich ihren Mantel fester um die Schultern.
Ich warte.
Bald werden die Herren und Damen in den Gasthäusern ihren Heimweg antreten, vollgefressen und trunken vom süßen Wein. Ich warte, zitternd vor Vorfreude. So schmecken sie am besten.
Ich spähe auf die Piazza di Santa Croce. Unter meinen Fingern spüre ich den rauen Stein der Mauer, an der ich lehne. Sie ist rissig und der Putz ist an vielen Stellen bröckelig oder abgefallen. In der metallenen Halterung, die über der Tür angebracht ist, sollte eine Laterne stecken, doch seit Monaten ist das einzige, was sie beherbergt, ein großes Spinnennetz. Die Fensterscheiben sind schmutzig, die Läden im oberen Stock zerbrochen. Auf der alten, wurmstichigen Treppe knarzen die Stufen und auf einer, kurz vor dem letzten Treppenabsatz, klafft ein Loch von der Größe eines ganzen Fußes.
Es ist mein Haus.
Und es ist mehr, als ich bei meiner Ankunft in Florenz erhofft hätte. In den ersten Nächten schlief ich unter einer Brücke am Arno, doch als mich zwei Bettler im Morgengrauen überfielen und ausraubten, begab ich mich auf die Suche nach einem geschützten Ort, wo ich nur für mich allein sein konnte.
Und dieser Ort ist hier, in der Via dell'Anguillara, von der aus ich die Kirche und die gesamte Piazza sehen kann.
Als sich Schritte nähern – langsame, behäbige Schritte – weiche ich tiefer in die Schatten zurück und konzentriere mich auf den Menschen, der auf mich zukommt. Hinter ihm höre ich weitere Schritte und ein lautes Lachen zerreißt die Stille in meiner Gasse.
Mit geschlossenen Augen wittere ich. Es ist ein Mann, er stinkt nach Schweiß und Parfüm gleichermaßen. Aber er durftet auch herrlich nach Wärme, nach Basilikum, Tomaten und Knoblauch und nach einer süßen Schwere, die wohl vom Wein herrührt. Ich öffne die Augen, er tritt ins Licht einer Hauslaterne. Der wollene Mantel spannt sich über seinem feisten Bauch, er trägt einen Hut und einen Gehstock. Mit dem rechten Bein hinkt er ein wenig. Die beiden Männer hinter ihm verabschieden ihn johlend, er neigt den Kopf, winkt ihnen zu und sie gehen in eine andere Richtung davon.
Er ist mir schon ganz nah, ich kann beinahe einzeln die wenigen dünnen Haare erkennen, die zwischen der Hutkrempe und dem Mantelkragen hervorschauen. Doch ich zwinge mich zum Warten, presse mich an die Mauer und grabe die Fingernägel in den Stein. Zitternd, mit angehaltenem Atem warte ich, bis er vorüber ist.
Die nächste Laterne hebt ihn in ihren Lichtkegel und ich löse mich von der Wand. Noch ein paar Schritte, noch ein paar Atemzüge, dann gehe ich ihm nach. Darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, verfolge ich ihn in den Schatten. Eine entsetzliche Vorfreude packt mich, eine Sehnsucht danach, ihn zu kosten und mich zu sättigen, mich zu übersättigen und im Rausch den Weg zurück zu taumeln.
Er biegt ab in die Via de' Giraldi und bleibt, als er fast die Hauptstraße erreicht hat, vor einem der Häuser stehen. Niemand zu sehen, die Villen gähnen mir mit dunklen Fenstern entgegen.
Mit einem Satz bin ich bei ihm, presste ihm die Hand vor den Mund, umschlinge ihn mit dem freien Arm, der Hut fällt ihm vom Kopf und ich kann seine schreckgeweiteten Augen sehen, dann schlage ich schon die Zähne in die verlockend pulsierende Ader an seinem Hals.
Er wimmert auf, wehrt sich, zuckt, kämpft und stöhnt, doch mein Griff ist eisern, meine Gier übermannt mich und ich sauge hemmungslos den Lebenssaft, der mir in den Mund schießt. Ich presse seinen warmen Hals an meine Lippen, wie flüssiges Feuer rinnt das Blut meine Kehle hinab, direkt in meine Adern, die es heiß durchfährt und mich vor Euphorie beben lässt.
Mein Opfer zuckt und rebelliert noch immer, doch die Bewegungen werden schwächer, seine Augenlider flattern. Nicht mehr lang, nur noch den letzten Tropfen, nichts verschenken, nichts vergießen …
Der Körper sinkt vor mir zu Boden, ich lasse ab von ihm und atme tief die klare Luft der Nacht. Wie im Rausch starre ich umher, und ich bin berauscht – vom Wein, vom Blut, vom Morden.
Schnell ist der Tote weggeschafft, in eine finstere Ecke, wo die Ratten sich seiner annehmen werden.
Ein letzter Blick – ich bin allein, alles ist still.
Mit dem Morgengrauen steige ich die Stufen zum oberen Stock hinauf. Mein Kopf ist schwer und mein Körper heiß von fremdem Leben. Die Gier ist gewichen, hat einer Müdigkeit platz gemacht, einer Schwäche und der Reue, die wie ein Raubtier in der Ecke meines Zimmers sitzt und mich anfällt, sobald die Ekstase und die Erregung nachgelassen haben.
Ein Sonnenstrahl bricht sich im Fenster am Haus gegenüber, blendet mich und ich lege mich auf meine Pritsche, ziehe die Beine an und mache mich klein. Zwei Männer waren es in dieser Nacht. Und ein Mädchen, ein süßes, junges Mädchen, das ich so gar nicht wissentlich, nur gefangen in der Erregung verfolgt und beinah mit Haut und Haar verschlungen habe.
Ich will nur schlafen, will vergessen, will ungeschehen machen. Will schlafen, zwei Tage lang, vielleicht auch drei. Am liebsten für immer. Doch ich muss töten, wenn ich leben will.
Der Abglanz der Sonne kriecht über die rissigen Wände, schwebt über mir, der Schatten eines Kreuzes teilt ihn und ich möchte meine Sünden beichten.
Doch wem?
Ich schlinge die Arme um die Beine, presse die Augenlider zusammen. Das Blut der Toten wühlt sich durch meine Venen, rauscht in meinen Ohren. Ich will schlafen, vergessen, vergehen.
Und doch … ich muss, nein, ich will leben.
16-10-2011
Der Abend fällt über die Stadt. Die Gassen liegen längst im Dunkeln, der letzte blasse Streif erlischt im Westen. Auf der Piazza hat man Fackeln entzündet, deren Flammen im Wind zucken und tanzen. Mit dem Untergehen der Sonne schleicht sich die Kälte zurück in die Stadt, kriecht über die beigen Fassaden, die in der Nacht so grau und tot erscheinen wie die Steine im Fluss, bis ein Fackelschein sie berührt und ihnen die Wärme wiedergibt. Eine junge Dame, die fröstelnd an mir vorüber eilt und die nach Flieder und Puder riecht, zieht sich ihren Mantel fester um die Schultern.
Ich warte.
Bald werden die Herren und Damen in den Gasthäusern ihren Heimweg antreten, vollgefressen und trunken vom süßen Wein. Ich warte, zitternd vor Vorfreude. So schmecken sie am besten.
Ich spähe auf die Piazza di Santa Croce. Unter meinen Fingern spüre ich den rauen Stein der Mauer, an der ich lehne. Sie ist rissig und der Putz ist an vielen Stellen bröckelig oder abgefallen. In der metallenen Halterung, die über der Tür angebracht ist, sollte eine Laterne stecken, doch seit Monaten ist das einzige, was sie beherbergt, ein großes Spinnennetz. Die Fensterscheiben sind schmutzig, die Läden im oberen Stock zerbrochen. Auf der alten, wurmstichigen Treppe knarzen die Stufen und auf einer, kurz vor dem letzten Treppenabsatz, klafft ein Loch von der Größe eines ganzen Fußes.
Es ist mein Haus.
Und es ist mehr, als ich bei meiner Ankunft in Florenz erhofft hätte. In den ersten Nächten schlief ich unter einer Brücke am Arno, doch als mich zwei Bettler im Morgengrauen überfielen und ausraubten, begab ich mich auf die Suche nach einem geschützten Ort, wo ich nur für mich allein sein konnte.
Und dieser Ort ist hier, in der Via dell'Anguillara, von der aus ich die Kirche und die gesamte Piazza sehen kann.
Als sich Schritte nähern – langsame, behäbige Schritte – weiche ich tiefer in die Schatten zurück und konzentriere mich auf den Menschen, der auf mich zukommt. Hinter ihm höre ich weitere Schritte und ein lautes Lachen zerreißt die Stille in meiner Gasse.
Mit geschlossenen Augen wittere ich. Es ist ein Mann, er stinkt nach Schweiß und Parfüm gleichermaßen. Aber er durftet auch herrlich nach Wärme, nach Basilikum, Tomaten und Knoblauch und nach einer süßen Schwere, die wohl vom Wein herrührt. Ich öffne die Augen, er tritt ins Licht einer Hauslaterne. Der wollene Mantel spannt sich über seinem feisten Bauch, er trägt einen Hut und einen Gehstock. Mit dem rechten Bein hinkt er ein wenig. Die beiden Männer hinter ihm verabschieden ihn johlend, er neigt den Kopf, winkt ihnen zu und sie gehen in eine andere Richtung davon.
Er ist mir schon ganz nah, ich kann beinahe einzeln die wenigen dünnen Haare erkennen, die zwischen der Hutkrempe und dem Mantelkragen hervorschauen. Doch ich zwinge mich zum Warten, presse mich an die Mauer und grabe die Fingernägel in den Stein. Zitternd, mit angehaltenem Atem warte ich, bis er vorüber ist.
Die nächste Laterne hebt ihn in ihren Lichtkegel und ich löse mich von der Wand. Noch ein paar Schritte, noch ein paar Atemzüge, dann gehe ich ihm nach. Darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, verfolge ich ihn in den Schatten. Eine entsetzliche Vorfreude packt mich, eine Sehnsucht danach, ihn zu kosten und mich zu sättigen, mich zu übersättigen und im Rausch den Weg zurück zu taumeln.
Er biegt ab in die Via de' Giraldi und bleibt, als er fast die Hauptstraße erreicht hat, vor einem der Häuser stehen. Niemand zu sehen, die Villen gähnen mir mit dunklen Fenstern entgegen.
Mit einem Satz bin ich bei ihm, presste ihm die Hand vor den Mund, umschlinge ihn mit dem freien Arm, der Hut fällt ihm vom Kopf und ich kann seine schreckgeweiteten Augen sehen, dann schlage ich schon die Zähne in die verlockend pulsierende Ader an seinem Hals.
Er wimmert auf, wehrt sich, zuckt, kämpft und stöhnt, doch mein Griff ist eisern, meine Gier übermannt mich und ich sauge hemmungslos den Lebenssaft, der mir in den Mund schießt. Ich presse seinen warmen Hals an meine Lippen, wie flüssiges Feuer rinnt das Blut meine Kehle hinab, direkt in meine Adern, die es heiß durchfährt und mich vor Euphorie beben lässt.
Mein Opfer zuckt und rebelliert noch immer, doch die Bewegungen werden schwächer, seine Augenlider flattern. Nicht mehr lang, nur noch den letzten Tropfen, nichts verschenken, nichts vergießen …
Der Körper sinkt vor mir zu Boden, ich lasse ab von ihm und atme tief die klare Luft der Nacht. Wie im Rausch starre ich umher, und ich bin berauscht – vom Wein, vom Blut, vom Morden.
Schnell ist der Tote weggeschafft, in eine finstere Ecke, wo die Ratten sich seiner annehmen werden.
Ein letzter Blick – ich bin allein, alles ist still.
Mit dem Morgengrauen steige ich die Stufen zum oberen Stock hinauf. Mein Kopf ist schwer und mein Körper heiß von fremdem Leben. Die Gier ist gewichen, hat einer Müdigkeit platz gemacht, einer Schwäche und der Reue, die wie ein Raubtier in der Ecke meines Zimmers sitzt und mich anfällt, sobald die Ekstase und die Erregung nachgelassen haben.
Ein Sonnenstrahl bricht sich im Fenster am Haus gegenüber, blendet mich und ich lege mich auf meine Pritsche, ziehe die Beine an und mache mich klein. Zwei Männer waren es in dieser Nacht. Und ein Mädchen, ein süßes, junges Mädchen, das ich so gar nicht wissentlich, nur gefangen in der Erregung verfolgt und beinah mit Haut und Haar verschlungen habe.
Ich will nur schlafen, will vergessen, will ungeschehen machen. Will schlafen, zwei Tage lang, vielleicht auch drei. Am liebsten für immer. Doch ich muss töten, wenn ich leben will.
Der Abglanz der Sonne kriecht über die rissigen Wände, schwebt über mir, der Schatten eines Kreuzes teilt ihn und ich möchte meine Sünden beichten.
Doch wem?
Ich schlinge die Arme um die Beine, presse die Augenlider zusammen. Das Blut der Toten wühlt sich durch meine Venen, rauscht in meinen Ohren. Ich will schlafen, vergessen, vergehen.
Und doch … ich muss, nein, ich will leben.
16-10-2011