Sehr geehrte Leser und Leserinnen,
herzlich Willkommen zum 34. Schreibbattle, bei dem Pooly und Ash Lynne gegeneinander antreten! Unter dem Thema "Gefangen im Schatten" haben beide jeweils eine Kurzgeschichte verfasst.
Um den Gewinner dieses Battles zu bestimmen, habt ihr jetzt zwei Wochen lang Zeit, abzustimmen - also bis zum 9. Juli.
Herzgeschnürt.
(von Ash Lynne)
„Mein Herz ist zugeschnürt,
kann nicht mehr atmen,
nicht mehr sprechen,
nicht mehr schlagen.“
Stille. Aufwühlende, drückende Stille. Kein Entkommen, kein Entrinnen.
Ich wusste weder, wo ich war, noch wie ich hier hergekommen war. Um mich herum herrschte nur vollkommene Stille, welche hier und da von einem absonderlichen Geräusch unterbrochen wurde. Kalt war es nicht, aber trotzdem erklomm mich eine eisige Kühle von innen und drohte mich aufzufressen. Meine Lippen zitterten und mein Rücken, welcher an die feuchte, glitschige Wand hinter mir gedrückt war, tat weh. Irgendetwas hielt mich hier fest – die Dunkelheit war es jedenfalls nicht. Als ich meine Finger kneten wollte, spürte ich wie taub sie waren und sie kaum bewegen konnte. Trotzdem versuchte ich mich von der Wand loszureißen. Es gelang mir erst, als ich meine Augen schloss und mich bemühte, mich zu beruhigen. Meine Beine wollten nachgeben, doch langsam kam ich voran; setzte ein Bein nach dem anderen nach von und strengte mich an, nicht umzufallen.
Plötzlich, als ich nicht damit rechnete, spürte ich, wie ich gegen etwas Warmes und scheinbar Lebendiges stieß. Es war größer als ich und nun hörte ich auch ein leises Atmen, welches aus dessen Richtung kam und meine Nase kitzelte.
„Hallo?“, flüsterte ich rau und heiser in die tiefe Dunkelheit, die mir die Sicht versperrte. Natürlich wusste ich nicht, was mich erwartete, ob derjenige mir etwas antun wollte, aber ich musste es versuchen. Ich hörte, dass die Person sich räusperte und es klang eindeutig nach einem Mann, was mir schlagartig bewusst wurde. Wahrscheinlich hatte er mich hierher verschleppt. Reflexartig ging ich ein paar Schritte zurück und wäre um ein Haar auf dem feuchten Boden ausgerutscht, doch aus dem Nichts erschienen zwei Hände, die mich an den Schultern packten und mich hielten. In diesem Moment durchströmte mich eine merkwürdige Wärme, die ich noch nie zuvor verspürt hatte. Sie schien aus den Händen des Unbekannten zu kommen und es irritierte mich so sehr, dass ich sie weg schlug.
„Wer ist da, zur Hölle?“, rief ich und meine Stimme brach ab, weil ich husten musste. Erneut spürte ich, dass die Hände nach mir tasteten, doch dieses Mal hielt ich sie fest und drückte mich dann gegen seinen Körper, sodass er mit seinem Rücken gegen die Wand schlug und aufkeuchte. Er war warm, vielleicht zu warm, doch er fühlte sich gut an. Trotzdem rammte ich ihm meine Faust in die Magenkuhle und er sackte zusammen.
„Was soll das?“, erklang eine sanfte Stimme zu meinen Füßen und sofort nahm sie mich ein. Sie erinnerte mich an diesen leichten Sommerregen, aber trotzdem hatte sie eine gewisse männliche Attraktivität. Verwirrt hockte ich mich zu ihm und nahm seine Hand, ohne zu wissen, was ich eigentlich tat.
„Wer bist du?“, fragte ich ihn leise. Eine Weile geschah nichts, doch dann spürte ich, wie er zum Reden ansetzte.
„Ist das nicht egal? Du würdest sowieso nicht glauben, wer ich bin“, erwiderte er und ich erahnte an seinen Bewegungen, dass er aufstand. Ich tat es ihm gleich, doch ich verstand immer noch nicht. Noch mehr beschäftigte mich allerdings die Tatsache, dass ich nicht wusste, wo ich war und wie ich hier hergekommen war. Seufzend lehnte ich mich neben ihn gegen die Wand und schloss abermals die Augen. Da ich trotz aller Anstrengungen sowieso nichts sah, nützte es nichts, sie zu benutzen. Doch je mehr ich mich auf mich zu konzentrieren versuchte, desto mehr glitten meine Gedanken zu ihm, dessen Namen und Gesicht ich immer noch nicht kannte. Und es waren nicht nur meine Gedanken, die verrückt spielten. Auch mein Körper sehnte sich auf eine höchst eigenartige Weise nach ihm. Ich wollte ihn berühren, seine Haut auf der meinen spüren. So etwas hatte ich noch nie zuvor empfunden und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Vorsichtig tastete ich nach seinem Arm und streifte dabei seinen Oberkörper, welcher nackt war. Gänsehaut jagte mir über meine Haut und mein Verlangen nach ihm stieg bis ins Unermessliche. Mein Puls pochte. Aus Unsicherheit nahm ich meinen Arm wieder weg, doch er spürte scheinbar selbst in der Dunkelheit, was ich vorhatte, hielt meinen Kopf zwischen seine recht großen Hände und küsste mich, wie mich noch nie jemand zuvor geküsst hatte. Erst dachte ich, meine Lippen wären taub, doch dann erwachten sie zum Leben und schmeckten seine Lippen, die etwas herb und rau waren.
Doch mein Herz – es fühlte sich an, als wäre es zugeschnürt, sodass es nicht mehr atmen, sprechen, schlagen konnte. Für einen Augenblick schien es stillzustehen; die Dunkelheit schien mich festzuhalten und genau in diesem Moment ging plötzlich das Licht an und riss uns aus der Trance, die schon fast unheimlich war.
Sofort schaute ich nach seinem Gesicht, doch anstelle eines Gesichts klaffte dort ein riesiges, entstelltes Loch, welches aussah, als wäre dort erst vor Kurzem das Fleisch herausgerissen worden. Mein Schrei steckte mir in der Kehle, und doch hatte ich das Verlangen meinem Entsetzen Luft zu machen. Ich stolperte rückwärts gegen die modrige Wand und während ich den Raum nach einer Tür absuchte, sah ich, dass der Raum völlig verschimmelt und verwahrlost war. Eine Tür gab es. Nur leider sah sie verschlossen aus, aber ich versuchte trotzdem mein Glück. Der Gesichtslose, dessen Antlitz meinen Schritte folgte, wollte ebenfalls in Richtung Tür gehen, doch ich war schneller und zu meiner größten Verwunderung ging sie auf.
Doch was ich sah, brachte mir nicht die erwünschte Erleichterung ins Herz, sondern schnürte es nur noch mehr zusammen. Hinter dieser Tür wartete die endlose Dunkelheit auf mich...
(von Pooly - Gewinnergeschichte)
Es ist die Stille, die mich aus dem Schlaf reißt. Das monotone Surren des Kühlschranks ist erstorben, die Lampe ist erloschen und ich hebe meinen Kopf von der Tischplatte auf, richte meine starren Glieder, die sich allzu sehr an meine schmerzhaft verzerrte Position gewöhnt hatten. Der Wecker zeigt keine Zeit, vor den Fenstern ist die Laterne erloschen.
Stromausfall.
Wie spät ist es? Der Mond hat sich selbst hinter dichten Wolken verborgen, mein Blick auf die Analoguhr schlägt fehl und meine Augen wandern irr im Raum umher, auf der Suche nach etwas, das sie in der Dunkelheit fesseln könnte.
‚Du solltest schlafen gehen‘, hat er gesagt, bevor er aus dem Raum gegangen ist und mich wieder allein gelassen hat. Er hätte hier bleiben können, ich habe ihn darum gebeten. Aber er hat meine Bitte nicht befolgt, also richte ich mich auch nicht nach der seinen.
Schlaftrunken richte ich mich auf, taumle durch die Schatten, versuche, nirgends anzuecken. Ich bin den Weg schon so oft gegangen, dass ich die Tür schneller finde als gedacht, öffne sie behutsam und spähe blind in das Wohnzimmer. Sein leises Atmen ist zu hören.
Nur für einen kurzen Moment überlege ich, in einem der Schränke nach Kerzen und Streichhölzern zu suchen, aber das würde ihn wecken, also verwerfe ich den Gedanken wieder.
Behutsam taste ich mich an der Wand entlang und suche meinen Weg durch den Raum. Es ist mitten in der Nacht, doch ich will nicht schlafen, ich kann es nicht, aber noch schlimmer ist es hier zu sein, allein den Gedanken überlassen. Ich halte Inne, als meine Finger den weichen Stoff der Jacke erfühlen, die am Kleiderständer hängt. Achtsam klaube ich sie hinunter, streife sie über meine Arme, stehle mich aus der Tür. Den Schlüssel kann ich ruhig vergessen, er wird mir öffnen, wenn ich wieder da bin.
Als ich das dunkle Treppenhaus hinabschwanke, fühle ich mich alt. Ich fühle oft alt, auch wenn ich es nicht bin. Vermutlich habe ich das falsche Leben bekommen. Die Ewigkeit zu zweit allein, so wie es niemand haben möchte, aber doch zu viele bekommen. Das Sein macht viele falsche Geschenke.
‚Wohin willst du?‘
Ich zucke zusammen, als seine dunkle Stimme durch die Dunkelheit schneidet, wende mich langsam um, aber ich sehe nichts. Wie hat er die Tür geöffnet, ohne dass ich es gehört habe?
‚Ich kann nicht schlafen‘, flüstere ich. Der Flur ist hellhörig und die Nachbarn wachsam. Sie haben schon lange ein Auge auf uns geworfen, scheint mir.
‚Du hast es gar nicht versucht‘, spricht die Dunkelheit. Schlurfende Schritte, die wieder sich wieder in die Wohnung suchen. Ich folge ihnen.
‚Der Strom ist weg‘, stelle ich fest, nur um etwas zu sagen, als ich die Tür hinter mir schließe.
‚Denkst du, das habe ich nicht bemerkt?‘
Ein Seufzen aus meiner Lunge, als ich mich an die Wand lehne.
‚Und ich habe auch bemerkt, wie du hinaus gegangen bist.‘
‚Ich dachte, du schläfst noch.‘
Er lacht und es klingt sogar leicht amüsiert.
‚Du bist ein Trampeltier, das war unmöglich zu überhören.‘
Ein unsichtbares Schmunzeln huscht über meine Lippen, ich taste mich langsam zum Sofa vor. Er kramt in einem Schrank herum, vermutlich sucht er die Kerzen.
‚Kannst du erkennen, wie spät es ist?‘, frage ich, als ich seine Decke etwas zur Seite schiebe, um mich auf die Couch zu setzen.
‚Gleich 3‘, sagt er knapp und zündet ein Feuerzeug an, um die Dochte einiger Teelichter anzustecken. Der Raum wird in einen warmen Schimmer gehüllt, aber die Schatten kleben noch immer an den Wänden, als hätten sie sich hineingesogen.
‚Kaffee wäre jetzt gut‘, sage ich, einfach um etwas zu sagen. Ich hasse es, mit ihm zu sprechen, aber noch mehr hasse ich es, mit ihm zu schweigen.
‚Hoffen wir einfach, dass der Strom wieder geht, wenn wir los müssen.‘
‚Ist ja nicht mehr lange hin.‘
Er stellt die Kerzen auf den Stubentisch und setzt sich dann neben mich. Wie gebannt sehen wir die Lichter an, wie sie lautlos vor sich hinflackern, mit der Finsternis tanzen und wanken.
‚Warst du wieder die ganze Nacht wach?‘, fragt er und ich seufze.
Das geht dich nichts an, will ich sagen, aber über meine Lippen kommt nur ein ‚nein‘.
‚Dann bist du wieder am Schreibtisch eingeschlafen.‘
‚Das geht dich nichts an.‘ Dieses Mal habe ich es doch geschafft und er fühlt sich schlecht an, dieser Satz, verdammt schlecht.
Wir schweigen so lange, dass mir die Stille in den Ohren schmerzt und ich überlege, doch ins Schlafzimmer zu gehen.
‚Wann musst du los?‘, fragt er, als ich mich gerade erheben will und ich zucke mit den Schultern.
‚Gegen 6 muss ich da sein. Und du?‘
‚Auch.‘
Und wieder diese Stille. Wenn er sich wenigstens anstrengen würde, wenigstens etwas sagen. Aber nein, wenn ich es nicht tue, dann tut er es auch nicht. Nie.
‚Ich leg mich noch mal hin’, stöhne ich und rapple mich schwerfällig auf.
‚Warte.‘ Er packt mich am Handgelenk und ich reiße meinen Arm entsetzt weg.
‚Was?‘, frage ich lauter als beabsichtigt.
Er holt tief Luft, als ich mich wieder in das Polster zurücklehne.
‚Ich denke, wir sollten noch einmal reden.‘
‚Ach?‘, höhne ich, ohne zu wissen warum. Ich will ihm nicht wehtun, ich will nichts weniger, aber ich bin zu überrascht von seinen Worten. ‚Du wolltest drei Jahre lang nicht reden und jetzt plötzlich, als es … schon zu spät ist.‘
‚Nichts ist zu spät.‘
‚Halt deinen Mund.‘
Die Flammen der Kerzen kämpfen gegen die Dunkelheit an, aber die Teelichter waren nur billig und das Wachs ist bald aufgebraucht. Dann wird es wieder dunkel sein. Ich finde uns in diesem Schauspiel wieder. Eigentlich finde ich uns überall wieder. In der Finsternis liegen, angezündet werden, in Flammen stehen, kämpfen und irgendwann wieder verlöschen. So läuft die Liebe. Nur normalerweise nicht so schnell wie bei uns.
‚Ich gehe jetzt schlafen‘, verkünde ich, auch wenn ich es nicht vorhabe. Ich will nur fliehen und das weiß er. Sein ‚ja‘ begleitet mich auf meinem Weg ins Schlafzimmer, ich schließe die Tür und lehne mich an sie.
Ich habe gekämpft. So lange und so viel und meine Flamme brannte noch, als seine schon längst verloschen war. So haben wir die Chance auf ein gemeinsames Ende verwirkt. Wir spenden kein Licht mehr, keine Wärme und unser Wachs ist schon lange verbraucht.
Wir sind wieder gefangen in den Schatten.
herzlich Willkommen zum 34. Schreibbattle, bei dem Pooly und Ash Lynne gegeneinander antreten! Unter dem Thema "Gefangen im Schatten" haben beide jeweils eine Kurzgeschichte verfasst.
Um den Gewinner dieses Battles zu bestimmen, habt ihr jetzt zwei Wochen lang Zeit, abzustimmen - also bis zum 9. Juli.
Herzgeschnürt.
(von Ash Lynne)
„Mein Herz ist zugeschnürt,
kann nicht mehr atmen,
nicht mehr sprechen,
nicht mehr schlagen.“
Stille. Aufwühlende, drückende Stille. Kein Entkommen, kein Entrinnen.
Ich wusste weder, wo ich war, noch wie ich hier hergekommen war. Um mich herum herrschte nur vollkommene Stille, welche hier und da von einem absonderlichen Geräusch unterbrochen wurde. Kalt war es nicht, aber trotzdem erklomm mich eine eisige Kühle von innen und drohte mich aufzufressen. Meine Lippen zitterten und mein Rücken, welcher an die feuchte, glitschige Wand hinter mir gedrückt war, tat weh. Irgendetwas hielt mich hier fest – die Dunkelheit war es jedenfalls nicht. Als ich meine Finger kneten wollte, spürte ich wie taub sie waren und sie kaum bewegen konnte. Trotzdem versuchte ich mich von der Wand loszureißen. Es gelang mir erst, als ich meine Augen schloss und mich bemühte, mich zu beruhigen. Meine Beine wollten nachgeben, doch langsam kam ich voran; setzte ein Bein nach dem anderen nach von und strengte mich an, nicht umzufallen.
Plötzlich, als ich nicht damit rechnete, spürte ich, wie ich gegen etwas Warmes und scheinbar Lebendiges stieß. Es war größer als ich und nun hörte ich auch ein leises Atmen, welches aus dessen Richtung kam und meine Nase kitzelte.
„Hallo?“, flüsterte ich rau und heiser in die tiefe Dunkelheit, die mir die Sicht versperrte. Natürlich wusste ich nicht, was mich erwartete, ob derjenige mir etwas antun wollte, aber ich musste es versuchen. Ich hörte, dass die Person sich räusperte und es klang eindeutig nach einem Mann, was mir schlagartig bewusst wurde. Wahrscheinlich hatte er mich hierher verschleppt. Reflexartig ging ich ein paar Schritte zurück und wäre um ein Haar auf dem feuchten Boden ausgerutscht, doch aus dem Nichts erschienen zwei Hände, die mich an den Schultern packten und mich hielten. In diesem Moment durchströmte mich eine merkwürdige Wärme, die ich noch nie zuvor verspürt hatte. Sie schien aus den Händen des Unbekannten zu kommen und es irritierte mich so sehr, dass ich sie weg schlug.
„Wer ist da, zur Hölle?“, rief ich und meine Stimme brach ab, weil ich husten musste. Erneut spürte ich, dass die Hände nach mir tasteten, doch dieses Mal hielt ich sie fest und drückte mich dann gegen seinen Körper, sodass er mit seinem Rücken gegen die Wand schlug und aufkeuchte. Er war warm, vielleicht zu warm, doch er fühlte sich gut an. Trotzdem rammte ich ihm meine Faust in die Magenkuhle und er sackte zusammen.
„Was soll das?“, erklang eine sanfte Stimme zu meinen Füßen und sofort nahm sie mich ein. Sie erinnerte mich an diesen leichten Sommerregen, aber trotzdem hatte sie eine gewisse männliche Attraktivität. Verwirrt hockte ich mich zu ihm und nahm seine Hand, ohne zu wissen, was ich eigentlich tat.
„Wer bist du?“, fragte ich ihn leise. Eine Weile geschah nichts, doch dann spürte ich, wie er zum Reden ansetzte.
„Ist das nicht egal? Du würdest sowieso nicht glauben, wer ich bin“, erwiderte er und ich erahnte an seinen Bewegungen, dass er aufstand. Ich tat es ihm gleich, doch ich verstand immer noch nicht. Noch mehr beschäftigte mich allerdings die Tatsache, dass ich nicht wusste, wo ich war und wie ich hier hergekommen war. Seufzend lehnte ich mich neben ihn gegen die Wand und schloss abermals die Augen. Da ich trotz aller Anstrengungen sowieso nichts sah, nützte es nichts, sie zu benutzen. Doch je mehr ich mich auf mich zu konzentrieren versuchte, desto mehr glitten meine Gedanken zu ihm, dessen Namen und Gesicht ich immer noch nicht kannte. Und es waren nicht nur meine Gedanken, die verrückt spielten. Auch mein Körper sehnte sich auf eine höchst eigenartige Weise nach ihm. Ich wollte ihn berühren, seine Haut auf der meinen spüren. So etwas hatte ich noch nie zuvor empfunden und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Vorsichtig tastete ich nach seinem Arm und streifte dabei seinen Oberkörper, welcher nackt war. Gänsehaut jagte mir über meine Haut und mein Verlangen nach ihm stieg bis ins Unermessliche. Mein Puls pochte. Aus Unsicherheit nahm ich meinen Arm wieder weg, doch er spürte scheinbar selbst in der Dunkelheit, was ich vorhatte, hielt meinen Kopf zwischen seine recht großen Hände und küsste mich, wie mich noch nie jemand zuvor geküsst hatte. Erst dachte ich, meine Lippen wären taub, doch dann erwachten sie zum Leben und schmeckten seine Lippen, die etwas herb und rau waren.
Doch mein Herz – es fühlte sich an, als wäre es zugeschnürt, sodass es nicht mehr atmen, sprechen, schlagen konnte. Für einen Augenblick schien es stillzustehen; die Dunkelheit schien mich festzuhalten und genau in diesem Moment ging plötzlich das Licht an und riss uns aus der Trance, die schon fast unheimlich war.
Sofort schaute ich nach seinem Gesicht, doch anstelle eines Gesichts klaffte dort ein riesiges, entstelltes Loch, welches aussah, als wäre dort erst vor Kurzem das Fleisch herausgerissen worden. Mein Schrei steckte mir in der Kehle, und doch hatte ich das Verlangen meinem Entsetzen Luft zu machen. Ich stolperte rückwärts gegen die modrige Wand und während ich den Raum nach einer Tür absuchte, sah ich, dass der Raum völlig verschimmelt und verwahrlost war. Eine Tür gab es. Nur leider sah sie verschlossen aus, aber ich versuchte trotzdem mein Glück. Der Gesichtslose, dessen Antlitz meinen Schritte folgte, wollte ebenfalls in Richtung Tür gehen, doch ich war schneller und zu meiner größten Verwunderung ging sie auf.
Doch was ich sah, brachte mir nicht die erwünschte Erleichterung ins Herz, sondern schnürte es nur noch mehr zusammen. Hinter dieser Tür wartete die endlose Dunkelheit auf mich...
VERSUS
Zwei Kerzen
(von Pooly - Gewinnergeschichte)
Es ist die Stille, die mich aus dem Schlaf reißt. Das monotone Surren des Kühlschranks ist erstorben, die Lampe ist erloschen und ich hebe meinen Kopf von der Tischplatte auf, richte meine starren Glieder, die sich allzu sehr an meine schmerzhaft verzerrte Position gewöhnt hatten. Der Wecker zeigt keine Zeit, vor den Fenstern ist die Laterne erloschen.
Stromausfall.
Wie spät ist es? Der Mond hat sich selbst hinter dichten Wolken verborgen, mein Blick auf die Analoguhr schlägt fehl und meine Augen wandern irr im Raum umher, auf der Suche nach etwas, das sie in der Dunkelheit fesseln könnte.
‚Du solltest schlafen gehen‘, hat er gesagt, bevor er aus dem Raum gegangen ist und mich wieder allein gelassen hat. Er hätte hier bleiben können, ich habe ihn darum gebeten. Aber er hat meine Bitte nicht befolgt, also richte ich mich auch nicht nach der seinen.
Schlaftrunken richte ich mich auf, taumle durch die Schatten, versuche, nirgends anzuecken. Ich bin den Weg schon so oft gegangen, dass ich die Tür schneller finde als gedacht, öffne sie behutsam und spähe blind in das Wohnzimmer. Sein leises Atmen ist zu hören.
Nur für einen kurzen Moment überlege ich, in einem der Schränke nach Kerzen und Streichhölzern zu suchen, aber das würde ihn wecken, also verwerfe ich den Gedanken wieder.
Behutsam taste ich mich an der Wand entlang und suche meinen Weg durch den Raum. Es ist mitten in der Nacht, doch ich will nicht schlafen, ich kann es nicht, aber noch schlimmer ist es hier zu sein, allein den Gedanken überlassen. Ich halte Inne, als meine Finger den weichen Stoff der Jacke erfühlen, die am Kleiderständer hängt. Achtsam klaube ich sie hinunter, streife sie über meine Arme, stehle mich aus der Tür. Den Schlüssel kann ich ruhig vergessen, er wird mir öffnen, wenn ich wieder da bin.
Als ich das dunkle Treppenhaus hinabschwanke, fühle ich mich alt. Ich fühle oft alt, auch wenn ich es nicht bin. Vermutlich habe ich das falsche Leben bekommen. Die Ewigkeit zu zweit allein, so wie es niemand haben möchte, aber doch zu viele bekommen. Das Sein macht viele falsche Geschenke.
‚Wohin willst du?‘
Ich zucke zusammen, als seine dunkle Stimme durch die Dunkelheit schneidet, wende mich langsam um, aber ich sehe nichts. Wie hat er die Tür geöffnet, ohne dass ich es gehört habe?
‚Ich kann nicht schlafen‘, flüstere ich. Der Flur ist hellhörig und die Nachbarn wachsam. Sie haben schon lange ein Auge auf uns geworfen, scheint mir.
‚Du hast es gar nicht versucht‘, spricht die Dunkelheit. Schlurfende Schritte, die wieder sich wieder in die Wohnung suchen. Ich folge ihnen.
‚Der Strom ist weg‘, stelle ich fest, nur um etwas zu sagen, als ich die Tür hinter mir schließe.
‚Denkst du, das habe ich nicht bemerkt?‘
Ein Seufzen aus meiner Lunge, als ich mich an die Wand lehne.
‚Und ich habe auch bemerkt, wie du hinaus gegangen bist.‘
‚Ich dachte, du schläfst noch.‘
Er lacht und es klingt sogar leicht amüsiert.
‚Du bist ein Trampeltier, das war unmöglich zu überhören.‘
Ein unsichtbares Schmunzeln huscht über meine Lippen, ich taste mich langsam zum Sofa vor. Er kramt in einem Schrank herum, vermutlich sucht er die Kerzen.
‚Kannst du erkennen, wie spät es ist?‘, frage ich, als ich seine Decke etwas zur Seite schiebe, um mich auf die Couch zu setzen.
‚Gleich 3‘, sagt er knapp und zündet ein Feuerzeug an, um die Dochte einiger Teelichter anzustecken. Der Raum wird in einen warmen Schimmer gehüllt, aber die Schatten kleben noch immer an den Wänden, als hätten sie sich hineingesogen.
‚Kaffee wäre jetzt gut‘, sage ich, einfach um etwas zu sagen. Ich hasse es, mit ihm zu sprechen, aber noch mehr hasse ich es, mit ihm zu schweigen.
‚Hoffen wir einfach, dass der Strom wieder geht, wenn wir los müssen.‘
‚Ist ja nicht mehr lange hin.‘
Er stellt die Kerzen auf den Stubentisch und setzt sich dann neben mich. Wie gebannt sehen wir die Lichter an, wie sie lautlos vor sich hinflackern, mit der Finsternis tanzen und wanken.
‚Warst du wieder die ganze Nacht wach?‘, fragt er und ich seufze.
Das geht dich nichts an, will ich sagen, aber über meine Lippen kommt nur ein ‚nein‘.
‚Dann bist du wieder am Schreibtisch eingeschlafen.‘
‚Das geht dich nichts an.‘ Dieses Mal habe ich es doch geschafft und er fühlt sich schlecht an, dieser Satz, verdammt schlecht.
Wir schweigen so lange, dass mir die Stille in den Ohren schmerzt und ich überlege, doch ins Schlafzimmer zu gehen.
‚Wann musst du los?‘, fragt er, als ich mich gerade erheben will und ich zucke mit den Schultern.
‚Gegen 6 muss ich da sein. Und du?‘
‚Auch.‘
Und wieder diese Stille. Wenn er sich wenigstens anstrengen würde, wenigstens etwas sagen. Aber nein, wenn ich es nicht tue, dann tut er es auch nicht. Nie.
‚Ich leg mich noch mal hin’, stöhne ich und rapple mich schwerfällig auf.
‚Warte.‘ Er packt mich am Handgelenk und ich reiße meinen Arm entsetzt weg.
‚Was?‘, frage ich lauter als beabsichtigt.
Er holt tief Luft, als ich mich wieder in das Polster zurücklehne.
‚Ich denke, wir sollten noch einmal reden.‘
‚Ach?‘, höhne ich, ohne zu wissen warum. Ich will ihm nicht wehtun, ich will nichts weniger, aber ich bin zu überrascht von seinen Worten. ‚Du wolltest drei Jahre lang nicht reden und jetzt plötzlich, als es … schon zu spät ist.‘
‚Nichts ist zu spät.‘
‚Halt deinen Mund.‘
Die Flammen der Kerzen kämpfen gegen die Dunkelheit an, aber die Teelichter waren nur billig und das Wachs ist bald aufgebraucht. Dann wird es wieder dunkel sein. Ich finde uns in diesem Schauspiel wieder. Eigentlich finde ich uns überall wieder. In der Finsternis liegen, angezündet werden, in Flammen stehen, kämpfen und irgendwann wieder verlöschen. So läuft die Liebe. Nur normalerweise nicht so schnell wie bei uns.
‚Ich gehe jetzt schlafen‘, verkünde ich, auch wenn ich es nicht vorhabe. Ich will nur fliehen und das weiß er. Sein ‚ja‘ begleitet mich auf meinem Weg ins Schlafzimmer, ich schließe die Tür und lehne mich an sie.
Ich habe gekämpft. So lange und so viel und meine Flamme brannte noch, als seine schon längst verloschen war. So haben wir die Chance auf ein gemeinsames Ende verwirkt. Wir spenden kein Licht mehr, keine Wärme und unser Wachs ist schon lange verbraucht.
Wir sind wieder gefangen in den Schatten.