Der komische Außerirdische
Jahrhundertelang galt der Halley'sche Komet als Unglücksbote. Als er pünktlich 1835 wieder am Firmament erschien, wurde im Örtchen Florida in Missouri ein Knabe geboren und auf den Namen Samuel Langhorne Clemens getauft. Doch der aufgeweckte Junge war kein Unglück, er entwickelte sich zu einem scharfsinnigen Denker, einem der gewitztesten Schreiber der Literaturgeschichte und dem frühen Gewissen seiner Nation, die sich gerade anschickte, Weltmacht zu werden. Als er starb, war er als einer der wenigen Literaten der USA weltberühmt, wenn auch unter seinem Künstlernamen Mark Twain - das war vor 100 Jahren.
Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain (Foto: dpa)
Twain wächst in Hannibal auf, am Mittelpunkt des knapp 3800 Kilometer langen Mississippi. Der Fluss und der Süden prägen seine karge Kindheit. Die Familie ist so arm, dass sie ihren wertvollsten Besitz verkaufen muss - die Sklavin Jenny. Nach dem frühen Tod des Vaters muss er die Schule abbrechen. Später betreibt sein Bruder eine Provinzzeitung und Sam wird erst Setzer und dann auch Schreiber. Er wandert durch die USA und schickt dem Bruder Reiseberichte, bis ihn der Fluss wieder hat: Der 22-Jährige wird Lotse auf dem Mississippi.
Die Geburt des "Mark Twain"
Bald beendet der Bürgerkrieg die Schifffahrt. Clemens wird in die Südstaaten-Armee eingezogen, aus der er nach zwei Wochen desertiert. Er schlägt sich bei den Goldsuchern im Westen der USA durch, zieht dann aber die Arbeit in der Redaktion vor. Wieder schreibt Clemens, diesmal billige Klatschgeschichten, die ihm mehr als einmal Ärger einbringen. Also schreibt er gleich völlig erfundene Geschichten. Als Pseudonym nimmt er aus der Lotsensprache den Begriff für zwei Faden Wassertiefe: "Mark Twain".
"Die schreckliche deutsche Sprache"
Sein "Der berühmte Springfrosch von Calaveras" wird schon USA-weit gelesen, und "Die Arglosen im Ausland" ist bis heute ein Klassiker. Dieses erste Reisebuch Twains ist Ergebnis einer fast halbjährigen Tour durch Europa und den Nahen Osten. Ihm gelingt ein Kunststück: Er macht sich über alles im Ausland lustig, ohne dabei überheblich zu wirken. Schließlich macht er sich auch über alles im Inland lustig. Aber trotz des Aufsatzes "Die schreckliche deutsche Sprache": In Heidelberg und Berlin hat sich der Gast aus der neuen Welt sehr wohl gefühlt.
Weltruhm mit "Tom Sawyer"
Ausgerechnet im distinguierten Neuengland schreibt Twain die Südstaatenbücher, die seinen Weltruhm begründen sollten. "Tom Sawyers Abenteuer", 1876 das erste maschinengeschriebene Skript der Literaturgeschichte, die 1883 erschienene Erzählung "Leben auf dem Mississippi" und schließlich 1884 "Die Abenteuer des Huckleberry Finn". Twain beschreibt in argloser und damit umso deutlicherer Sprache das idyllische Leben auf dem Fluss, das durch Sklaverei und Rassenhass verzerrt wird. Kein Wunder, dass das Buch bei vielen "Southernern" nicht gut ankommt. Heute ist das Buch, das vielleicht ebenso viel zum Verständnis der Rassen beigetragen hat wie "Onkel Toms Hütte" von Twains Nachbarin Harriet Beecher Stowe, erneut auf dem Index: Die Linken erregt, dass gleich in der ersten Zeile das Wort "Nigger" vorkommt.
Die Reise mit dem Kometen
Twains Leben ist spannend, aber auch voller Schicksalsschläge. Seine teilweise gelähmte Frau, um die er sich aufopfernd kümmert, schenkt ihm vier Kinder - drei sterben vor ihm, ebenso wie seine Frau. Als er einem Freund, dem Bürgerkriegsgeneral und US-Präsidenten Ulysses Grant, bei den Memoiren hilft, verdient er gut - und verliert alles durch eine immense Fehlinvestition in eine Druckerei und ein Verlagshaus. Twain muss noch einmal von vorn anfangen und wird immer sarkastischer. 1909, fast die gesamte Familie ist tot, sagt er: "Ich kam auf die Welt mit dem Halley'schen Kometen. Er kommt im nächsten Jahr wieder und es wäre die größte Enttäuschung meines Lebens, nicht mit ihm zu gehen. Der Allmächtige hat ohne Zweifel gesagt: Hier sind diese beiden komischen Käuze. Sie sind zusammen gekommen, sie müssen zusammen gehen." Sein Wunsch wird ihm erfüllt.
Quelle: dpa