Vorleser Schmidt erfüllt Literaturwünsche
Schwerin (ddp-nrd). Hans Jochim Schmidt setzt sich an seinen heimischen Schreibtisch und rückt das Mikrofon zurecht. Dann beginnt er, mit tiefer warmer Stimme einen Text des Schriftstellers Gottfried Keller zu lesen. Als Vorleser Schmidt hat der emeritierte Professor für Grundschulpädagogik seinen eigenen Hörbuchverlag gegründet, in dem er alles selbst macht. «Ich lese die Texte ein, brenne sie auf CD, gestalte die Cover und verkaufe die fertigen Hörbücher», erzählt der 71-jährige Schweriner.
100 Titel hat Schmidt inzwischen in seinem Programm, darunter zahlreiche Texte des mecklenburgischen Mundartdichters Fritz Reuter, der in diesem Jahr 200 Jahre alt geworden wäre. Sein Verkaufsrenner ist eine CD mit plattdeutschen Märchen. Vorleser Schmidt erfüllt aber auch individuelle Hörwünsche und liest Lieblingsbücher seiner Kunden als Unikate ein.
Schmidt sieht seinen Ein-Mann-Verlag als «Altersprojekt». Dabei wollte er nach seiner Emeritierung zunächst gar keinen Verlag gründen, sondern hatte ein soziales Engagement im Sinn. «Ich habe anfangs auf Wunsch vorgelesen gegen eine Spende, über deren Höhe der Kunde entscheiden konnte», berichtet er. Damit habe er den Hospizverein Schwerin unterstützen wollte. Er habe aber nur wenige Leute mit den Texten erreichen können, und auch der Spendenrücklauf an den Verein sei gering gewesen. 2004 gründete er schließlich seinen Hörbuchverlag und mittlerweile kommt Schmidt mit seinen in Kleinstauflagen erscheinenden Hörbüchern sogar in die schwarzen Zahlen.
Die Wurzeln für seine Vorleseleidenschaft liegen in Schmidts Jugend. «Als Junge wäre ich gerne Schauspieler geworden und habe im Theater vorgesprochen», erzählt er. Mit seiner leichten Behinderung an den Füßen hätte er aber nicht auf der Bühne tanzen oder fechten können. «Der Schauspieler, bei dem ich vorsprach, versicherte mir jedoch, dass ich eine gute Sprechstimme hätte.» Seine Stimme konnte Schmidt zwar in seinen Jahren als Lehrer und Professor nutzen, wirklich entfalten kann er sein Talent jedoch erst jetzt.
Bei der Auswahl seiner Texte unterliegt der Vorleser einigen Einschränkungen. «Um Überschneidungen mit den Programmen großer Verlage zu vermeiden, habe ich mir gewissermaßen ´Nischen´ gesucht», erklärt der emeritierte Professor. Dazu gehören neben den Erzählungen in mecklenburgischem Platt auch philosophische Texte, Märchen und Mythen, klassische Versepen wie die Ilias, aber auch Romane von Adalbert Stifter und Gottfried Keller. Außerdem müssen die Autoren aus urheberrechtlichen Gründen mindestens 70 Jahre tot sein, erst dann sind die Texte rechtefrei und dürfen von jedem genutzt werden.
Zu Fritz Reuter hat Hans Jochim Schmidt eine besondere Beziehung. Als Neunjähriger war er 1947 mit seiner Familie aus Schwerin nach Niedersachsen gezogen. Die Eltern wollten den Kontakt zur Heimat und ihrer plattdeutschen Sprache aufrecht erhalten. Dem Jungen fiel deshalb die Aufgabe zu, daheim die Erzählungen Fritz Reuters vorzulesen. «Auf diese Weise habe ich Plattdeutsch gelernt», erzählt der 71-Jährige. «Bald wird niemand mehr wissen, wie sich Plattdeutsch anhört. Deshalb betrachte ich es als wichtige Aufgabe, das Idiom auch hörbar zu bewahren», sagt Schmidt.
Überhaupt fühlt sich der Schweriner seiner mecklenburgischen Heimat verbunden, in die er nach der Wende zurückkehrte. Anlässlich der 850-Jahr-Feier in diesem Jahr hat Schmidt eine kurze Geschichte Schwerins geschrieben und als Hörbuch eingelesen. Die CD «Eine kurz gefasste Geschichte meiner Stadt» liegt in der Touristeninformation und den Staatlichen Museen für die Besucher aus.
Vielen Gästen der Landeshauptstadt ist die Stimme von Vorleser Schmidt schon vertraut. Seit einigen Jahren sind die Ansagen und Erläuterungen der Weißen Flotte, die Schiffsfahrten auf den umliegenden Seen anbietet, von ihm. Schmidt war mit den Ausführungen über Schwerin, die den Touristen auf den Törns vorgespielt wurden, nicht zufrieden. «Ein großer Teil der Texte war nicht mehr aktuell», sagt er. Daraufhin wurde er kurzerhand aktiv, schrieb neue, aktualisierte Texte und las sie für die Weiße Flotte ein. Honorar hat er dafür nicht bekommen. «Das war bürgerschaftliches Engagement», sagt Schmidt lächelnd.