Inhalt:
Rechtsmediziner Paul Herzfeld, Spezialist für Gewaltverbrechen, findet im Kopf einer monströs zugerichteten Leiche die Telefonnummer seiner Tochter. Hannah wurde verschleppt - und für Herzfeld beginnt eine perverse Schnitzeljagd. Denn der psychopathische Entführer hat eine weitere Leiche auf Helgoland mit Hinweisen präpariert ...
Wann haben Sie das letzte Mal eine Leiche geöffnet?
Noch nie?
Noch nie?
(Quelle: Verlagsangaben)
Meinung:
Wie sehr hatte ich mich seit seiner Erscheinung auf dieses Buch gefreut. Endlich wieder ein neuer Fitzek - und ich wurde nicht enttäuscht. Gerade mal 8 Stunden habe ich gebraucht, um das Buch zu beenden.
Paul Herzfeld bekommt vermutlich den Schreck seines Lebens, als er im Kopf einer übel zugerichteten Leiche auf seinem Seziertisch die Nummer seiner Tochter Hannah findet: Der Start einer perversen Schnitzeljagd. Denn zur selben Zeit findet die Comiczeichnerin Linda auf Helgoland eine männliche Leiche die, wie sich herausstellet, einen weiteren Hinweis bedeutet ...
Von der ersten Seite an, befiel mich irgendwie eine unheimliche Stimmung und eine gewisse Spannung - auch wenn ich wegen meiner fehlenden Lesemotivation ein wenig brauchte, bis ich mich reingelesen hatte - die sich im Laufe der Handlung immer weiter steigerte und verdichtete.
Neben den für Sebastian Fitzek typischen Andeutungen, die sich wie immer erst gegen Ende zu einem ganzen Bild zusammenfügen und so den Leser an die Seiten fesseln, tritt in diesem Buch noch ein ganz neuer Faktor hinzu: Dadurch, dass an diesem Buch ein Rechtsmediziner, namentlich Michael Tsokos, mitschrieb, werden die ganzen gerichtsmedizinischen Szenen, die man aus vielen Büchern kennt, umso realer. Sicher wird jeder Autor genauestens recherchieren, wenn er eine Obduktion schildern will. Doch ist das immer noch etwas anderes, als wenn eben ein Gerichtsmediziner selbst aktiv am Buch beteiligt ist. Ich hatte mit dem Wissen zu Zeiten das Gefühl, Paul Herzfeld direkt über die Schulter zu schauen - und ich war auch irgendwie "gezwungen" mir vorzustellen, wie ich mich wohl in Lindas Situation fühlen würde ...
"Es geht um das gesamte System, das Opfer zu Tätern macht", erklärte Schwintowski. "Um die Polizei, die viel zu überlastet ist, um bei jeder Vermisstenanzeige eine Suchaktion zu starten. Es geht um Gerichte, die Steuersünder härter abstrafen als Kinderschänder. Um Psychologen, die Freigang für Vergewaltiger empfehlen, sobald sie ein Trauma in ihrer Kindheit entdecken, während man mich für meine illegalen Casinos am liebsten in eine Einzelzelle sperren würde. Und natürlich geht es um einen rechtsmedizinischen Apparat als Teil eines sogenannten Rechtsstaats, der am Ende nur den Tätern nützt und die Opfer ein zweites Mal bestraft."
Abgeschnitten S. 295
Unterschwellig kann man aus dem ganzen Buch eine Art "Gesellschafts-" oder vielmehr "Rechtssystemskritik" herauslesen: Wie kann es sein, dass der Mann, der seine Tochter über Jahre hinweg sexuell misbrauchte eine mildere Strafe bekommt, als der, der als "Börsenbetrüger" bezeichnet wird? Ist Geld tatsächlich so viel wichtiger als ein menschliches Leben?
Zitate aus deutschen Tageszeitungen, die die Rechtssprechung in verschiedenen Fällen vergleichen, zu Beginn und am Ende des Buches, sind ein weiterer Faktor, der das ganze Geschehen in grausamer Form sehr realistisch wirken lassen.
Und auch generell weist das Buch wieder einige dieser Kleinigkeiten auf, die Fitzeks Bücher immer so besonders machen. Zum einen sind da die bereits erwähnten Andeutungen, mit denen er es schafft, seinen Leser in immer andere Richtungen zu lenken oder aber auch, Zusammenhänge zu entwickeln, die sich erst am Ende als richtig oder falsch erweisen. Dann der Rahmen aus den Zeitungsausschnitten und nicht zuletzt eine ganz besonders ... witzige Idee am Ende des Buches, die ich aber der Überraschung wegen nicht verraten will. Ich kann nur eines sagen: Auch als die Geschichte zuende war, haben es Sebastian Fitzek und Michael Tsokos noch einmal geschafft, mich ganz in das Buch hineinzuziehen.
Er reichte ihm die Hand. "Und machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe ja keine Steuern hinterzogen, nur einen Menschen umgebracht. Was soll mir da schon groß passieren?"
Abgeschnitten S. 392
Es gibt jedoch eine Sache, die mir ein wenig "negativ" aufgefallen ist: Immer wieder musste ich beim Lesen an einen von Simon Becketts "David Hunter"-Thrillern denken, in dem eine Insel durch einen Sturm vom Festland abgeschnitten ist. Und auch eine Wendung am Ende des Buches hat mich sehr an eine bei David Hunter erinnert. Ich will Sebastian Fitzek damit in keinster Weise unterstellen, dass er irgendetwas "abgeschrieben" hat, die Geschichten an sich sind zudem völlig ohne Zusammenhang. Leider habe ich trotzdem unbewusst immer wieder Vergleiche gezogen, was das Leseerlebnis ein wenig getrübt hat.
Fazit:
Alles in allem ist "Abgeschnitten" ein unglaublich guter Thriller, der es schafft, seinen Leser so sehr in seinen Bann zu ziehen, dass man das Buch kaum noch aus der Hand legen kann.
Jedem Fitzek-, aber auch jedem Thriller-Freund kann ich es nur wärmstens empfehlen und ich vergebe insgesamt 4.5 von 5 Sternen.