Informationen
Taschenbuch | 304 Seiten
Erschienen im September 2009
im Kiepenheuer & Witsch Verlag
ISBN: 978-3-462-04150-7
Preis: 8,99 €
Inhalt
Was macht ihr Debüt so besonders? Da ist zum einen die siebzehnjährige Sascha Naimann, die aus Moskau nach Deutschland gekommen ist und mit ihren zwei jüngeren Geschwistern im Scherbenpark lebt – einem Hochhaus-Ghetto, in dem eigene Gesetze herrschen, die sie mit wilder Entschlossenheit bricht. Da ist zum anderen das katholische Elite-Gymnasium, das Sascha wegen ihrer Hochbegabung und ihrer prekären Lebenssituation angenommen hat, mitsamt den behüteten und ausstaffierten Mitschülerinnen, die keinen Schimmer von Algebra haben, aber ein volles Freizeitprogramm. Und da ist der Ton, in dem Sascha ihre Geschichte erzählt: Selbstbewusst und geradeheraus, beiläufig und trocken kommentiert sie ihre Umgebung, das verzweifelte Streben nach Glück, Freiheit und Wohlstand, das Scheitern ringsum und das eigene Aufbegehren.
Meinung
„Scherbenpark“ ist in Deutschland ein hochgelobtes Buch – ein unverlangt eingesendetes Manuskript, das es schaffte, die Lektoren so zu begeistern, dass es veröffentlicht wurde. Auch wenn die Geschichte für mich interessant klang, war es vor allem dieser Hintergrund, der mich auf das Buch aufmerksam machte. Ich wollte wissen, ob dieser Hype verständlich ist. Denn zu oft kommt es leider vor, dass man derartige Lobeshymnen nicht nachvollziehen kann – das ist hier aber glücklicherweise nicht der Fall.Dass ich eigentlich nur mal kurz in das Buch hineinschauen wollte und mich plötzlich auf der Mitte des Buchs wiederfand, sagt wohl alles über den Stil. Poetisch würde ich Alina Bronskys Art und Weise zu schreiben nicht unbedingt nennen. Die Autorin ist aber auf jeden Fall wortgewandt und vor allem schafft sie eins: Den Leser davon zu überzeugen, dass es Sascha ist, die da eigentlich schreibt. Ihre Stimme ist so unverwechselbar, so passend zu ihrem Charakter und so ehrlich, dass ich nicht anders konnte als immer und immer weiterzulesen und mich darüber zu freuen, so ein gutgeschriebenes Buch in den Händen zu halten. Sehr sarkastisch, dann plötzlich wieder ganz nachdenklich oder abwehrend kommen die Worte daher und erschaffen eine Leitung zwischen Sascha und dem Leser. Wenngleich Saschas Leben meinem eher unähnlich ist, gab es kaum eine Situation, in der ich ihre Gedanken und Taten nicht nachvollziehen konnte.
Dabei ist sie gar keine besonders gutmütige oder nette Hauptfigur. Würde ich ihr begegnen, wüsste ich wohl nicht so recht, was ich von ihr halten soll. Doch der Blick aus ihren Augen hat mir gefallen und war für mich nachvollziehbar. Sie ist klug, bildet sich darauf manchmal aber auch einiges ein, kratzbürstig, manchmal sogar aggressiv und selten empathisch. Menschen lässt sie nicht gerne an sich heran und sie kann ziemlich schnell urteilen – kurz: Sie ist keine perfekte Bilderbuchfigur. Aber das ist auch gut so. Denn ihre Schwierigkeiten mit ihrem Umfeld sind ein wichtiger Bestandteil des Buchs. Manchmal hätte ich Sascha am liebsten wachrütteln wollen, während ich in anderen Situationen nicht konnte, als über ihre Art zu lachen.
Glücklicherweise bleiben die anderen Figuren nicht hinter Saschas Komplexität zurück. Da man die Geschichte aus Saschas Position liest und ihre Wahrnehmung der Leute sehr subjektiv ist, hat man natürlich kein neutrales Bild von anderen Figuren. Aber auch wenn Sascha von sich behauptet, sie sei nicht sehr neugierig, war ihre Einschätzung der Personen für mich als Leser in jedem Fall genug. Jede Figur hat ihre sonderbaren Eigenheiten und allesamt sind sie einfach fehlerhaft und menschlich – und wirken dadurch authentisch.
Besonders hervorheben muss ich hier auch noch die Dialoge. Oftmals kommt es vor, dass sie gestelzt oder unecht klingen, doch Alina Bronsky legt ihren Figuren passende Worte in den Mund. Das haucht dem Buch natürlich noch viel mehr Leben ein. Was die Geschichte anbelangt, kann ich mich auch nicht beklagen. Manch einem mag sie vielleicht etwas zu verrückt sein, denn es gibt hier viele ungeahnte Wendungen und alles ist ein bisschen chaotisch. Ich empfand das als natürlich, aber wer ein Fan von strukturierten und einem klaren roten Faden folgenden Romanen ist, könnte hiermit seine Probleme haben.
Ganz stark beeindruckt hat mich aber eigentlich die Thematik. In dem Buch werden viele ernste Themen angeschnitten: Vorurteile und wie sie schaden können; häusliche Gewalt; das Problem, wenn Liebe zu Mitleid wird; Akzeptanz und das Erwachsenwerden. Diese sind allesamt gut verpackt und erzählt von einer sehr scharfzüngigen und doch manchmal witzigen Jugendlichen gehen sie leicht in den Kopf und setzen sich dort fest.
Fazit
Mit „Scherbenpark“ ist Alina Bronsky tatsächlich ein ganz großer Wurf gelungen. Mir gefiel alles an diesem Buch – angefangen beim charakteristischen Stil, über die einzigartige Hauptfigur und ihr Gefolge, bis hin zur lebensnahen Handlung. Darüber hinaus regt der Roman zum Nachdenken an. Sehr gerne habe ich mich von Saschas Stimme in den Bann ziehen lassen und ich kann jedem Fan von realitätsnahen Romanen nur empfehlen, auch mal die Nase in dieses Büchlein zu stecken!4.5 von 5 Sternen
gebe ich.
gebe ich.