Kein Platz mehr für Abenteurer
Mit Wein, Stehpult und Besessenheit begann die Geschichte des Schweizer Ammann Verlags. Nach 30 Jahren geht sie jetzt zu Ende. Eine Branche steckt in der Strukturkrise.
Mit Wein, Stehpult und Besessenheit begann die Geschichte des Schweizer Ammann Verlags. Nach 30 Jahren geht sie jetzt zu Ende. Eine Branche steckt in der Strukturkrise.
Die Geburt einer Legende aus dem Geist des Abenteuers. Viel hat es nicht gebraucht, um den Ammann Verlag vor bald 30 Jahren in die Welt zu heben. Ein Stehpult mit angeblichem Briefpapier, einen Schriftsteller, einen Bierdeckel. Ach, und Wein natürlich. Das Verlagsgründungsrezept sieht dann so aus: Man stelle ein Stehpult neben die Klotür in eine Berliner Wohnung, lädt den Schriftsteller ein und gibt ihm genug zu trinken, damit er erstens auf dem Weg zur Toilette häufig am Stehpult vorbei muss und zweitens einen Tick übermütiger wird. Und mit Glück schreibt er vielleicht wirklich diesen Satz auf den Stoß Papier, den die Nachbarn aus Witz als Briefpapier gestaltet haben: "Wenn Sie einen Verlag gründen, ist das ein Vertrag." So kann dann fürs Geschäftliche später wirklich ein Bierdeckel ausreichen, um einen Schriftsteller wie Thomas Hürlimann dingfest zu machen.
Damals, 1981, war so etwas noch möglich, und nach zwei langen Abenden begann Egon Ammanns Traum einer neuen literarischen Zukunft. Zumindest erzählt er die Legende so, er erzählt sie mit mehr Details, schließlich ist sie die Gründungslegende seines Verlags. Damals war Ammann noch bei Suhrkamp und Hürlimann beim Fischer-Verlag. Der Vertrag auf dem Bierdeckel für den ersten Autor und das erste Buch ruht heute im Zürcher Verlagsarchiv. Wahrscheinlich wird Ammann ihn mitnehmen, wenn er am 30. Juni seinen Verlag in der Neptunstraße schließt. Und damit ein beeindruckendes Kapitel jüngerer Literaturgeschichte.
Egon Ammann würde Hürlimann nie die Schuld geben an den zwei Herzinfarkten, die Preis waren für sein bedingungsloses Leben in der Literatur: "Das war die Initialzündung. Wenn einem so etwas geschieht, ist man ein Leben lang dankbar." Doch das Prosadebüt des Dramatikers, Die Tessinerin, hat dem neuen Verlag einen rasanten und preisträchtigen Anfang beschert. Die weitere Geschichte, ein erstaunlich langes Balancieren auf dem schmalen Grat zwischen rosaroten und roten Zahlen, feinen Kleinauflagen und großen Erfolgen, hat Kraft gekostet.
Ammann geht als eine der großen intuitiven Verlegerfiguren mit einem kleinen Haus und keinem Dutzend Mitarbeiter. Als Chef sei er "sicher nicht einfach, viel fordernd, ungeduldig, der hochgetunte Motor des Ganzen" gewesen, sagt er. Marie-Luise Flammersfeld, seine Frau, die anfangs das Lektorat, später die Gestaltung der Bücher und den gesamten Verlagsauftritt in der Hand hatte, sehe das nicht anders.
Im offiziellen Abschiedsbrief des Verlags heißt es: Sie haben der Literatur, so der offizielle Abschiedsbrief, "gegeben, was Sie zu geben hatten". Immer wollten sie "Literatur als Kunst ermöglichen, nicht einfach nur Bücher machen. Entlang unserer subjektiven Neugier, auf der Suche nach Intensität des Ausdrucks." Der Verlag wurde schnell zum Türöffner für heute etablierte Autoren wie Julia Franck, Thorsten Becker, Ruth Schweikert, Ulrich Peltzer. Die meisten Bücher, sagt Ammann, seien aus eingesandten Manuskripten entstanden.
Noch mehr wirkte der Verlag aber durch die Entdeckung großer Autoren für den deutschen Sprachraum. Ammann brachte Fernando Pessoa (Buch der Unruhe) ins Deutsche, gewann Swetlana Geier für ihre gefeierten Dostojewski-Übersetzungen, er editierte Ossip Mandelstam und ließ sich vom Nobelpreis für Wole Soyinka aus den Puschen hauen. Den größten kommerziellen Erfolg brachte Eric-Emmanuel Schmitt (Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran), freilich auch Qualitätsdiskussionen. Doch seit Schmitt, sagt Ammann, bewege sich der Verlag zumindest in grauen Zahlen.
Ammann, der große unter den kleinen Literaturverlagen mit starken 900 Titeln in 30 Jahren lebte auch vom Bild seines Chefs: Der Verleger, selten ohne Zigarette auf Fotos zu sehen, ist der abenteuerliche Schöngeist, der schon mit Goethebänden durch Kurdistan gezogen und im Kugelhagel gelandet sein soll, die Branchenkarriere wieder hinwarf und durch Spanien zog als Mitarbeiter eines Toreros, dann – fast unbezahlt – eines Verlags, und der die Lebensanstellung als Verlagsleiter bei Suhrkamp Schweiz für das nächste ganz große Abenteuer aufgab.
Doch mit fast 70 zieht Ammann die Reißleine. Kurz vorher hatte er die zwischenzeitliche Leitung der Basler Buchmesse mit Lesefestival zurückgegeben. Es war zu viel. Doch Ammanns Rückzugsankündigung 2009 steht für die Strukturkrise der Branche, des ambitionierten literarischen Kleinverlags, musste doch im selben Jahr Urs Engeler das Handtuch werfen. Dessen Mäzen hatte in der Wirtschaftskrise zu viel Geld verloren. Doch Ammann galt immer als einer der stärksten der kleinen Verlage, er hatte tragende Titel und nicht nur einen Winterthurer Mäzen im Hintergrund, sondern vor allem seine spätere Komplementärin Monika Schoeller. Die Holtzbrinck-Erbin und Chefin der Fischer-Verlage soll nicht nur eine Beteiligung eingebracht, sondern den Verlag lange finanziell gestützt haben. "Das war kein Mäzenatentum", sagt Ammann, auch wenn manche von großen Summen sprechen. Bei S. Fischer laufen Ammann-Titel als Taschenbücher. Dass sie ihre Unterstützung zurückfahren wollte, möchten Ammann und Flammersfeld nicht bestätigen. Die Zusammenarbeit rettet zumindest das Verlagsprogramm: Alle großen Editionen werden von S. Fischer übernommen und weitergeführt.
Letztlich sah Ammann aber für sein Modell keine Zukunft mehr: "Vor etwa zwei Jahren wurde uns deutlich, dass der Handel unsere besonderen Angebote nicht mehr wie in früheren Jahren aufnehmen konnte." Dahinter steht mehr als ein womöglich kulturkonservatives Klagen über das Verschwinden des anspruchsvollen Lesers. "Die drei-, viertausend wirklichen Literaturleser", sagt Ammann, "die gibt es heute noch." Mit ihnen allein ist aber kein Verlag zu halten. Und was Ammann als Spaß- und Fantasywelle ausmacht, war nie seine Sache. Doch in der tosenden Arena der Aufmerksamkeitskämpfe verstopft die Betriebsamkeit von Hegemann-Debatten die Kanäle.
Und den Buchhandel mit seinem enormen Konzentrationsdruck erleben viele Verleger immer weniger als Stütze. Ammann weiß, dass er neue, digitale Vertriebsmodelle hätte entwickeln müssen. Seine Frau hatte noch vorgeschlagen, den Verlag gesund zu schrumpfen: weniger Mitarbeiter, Konzentration auf Kernautoren. "Ich war dagegen, aber auch nicht bereit, mich den Anforderungen der neu heraufziehenden Zeit zu stellen. Ein Umdenken wäre nötig gewesen, aber so einen Effort wollten wir angesichts unserer Möglichkeiten nicht leisten."
Aber dann gleich ganz dichtmachen? Zehn Jahre will Ammann nach einem Nachfolger Ausschau gehalten haben: "Doch entweder es gab keinen in unserem Gesichtskreis oder wir haben den Möglichen nicht erkannt." Nicht, dass der es leicht gehabt hätte. Ammann ist schließlich auch Patron. "Das Unternehmen ist streng ad personam geführt worden, mit Vorgaben, die über das einfache Büchermachen hinausgehen. Ein Nachfolger hätte eine zu große Anpassungsfähigkeit gebraucht."
Unter das Dach eines großen Verlages wollte Ammann nicht schlüpfen. Angebote habe es gegeben, das schon. Doch wer weiß, was aus seinen Autoren, der Backlist, dem Lebenswerk geworden wäre. Und für eine marktkonforme Schrumpfkur wollte er seinen Namen nicht hergeben. "Da wir beide noch lebendig sind, hätten wir dem nicht zusehen können." Nun seien immerhin 80 Prozent der Autoren untergebracht, "für einige suchen wir noch nach neuen Verlagspartnern." Alle Mitarbeiter sind vorerst versorgt. Die Teile des Gesamtprogramms, die nicht von anderen übernommen werden, sollen noch bis drei Jahre lang lieferbar sein.
Am Ende wirft Ammann als Galionsfigur einer um Unterstützung, Aufmerksamkeit und Marktanteile kämpfenden Schar kleiner Literaturverlage auch eine andere Frage auf: Wie kann es weitergehen mit literarisch ambitionierten Kleinverlagen? Ammann ist gegen staatliche Unterstützung. "Die sollen gute Politik machen, aber zu viele Köche verderben den Brei." Eher wünscht er sich Subventionen für einzelne Publikationen, dafür sollten auch Stiftungen ihre Satzungen auf Druckkostenzuschüsse ausweiten. Doch eines steht für Ammann unweigerlich fest: Retten können die Literatur nur die Besessenen: "Verantwortungsvolle Verleger sind Garanten für gute Verlagsarbeit." Doch nun erlebe er, "eine andere Generation, die ist das Dienen nicht mehr gewöhnt".
Quelle:Zeitonline