Pooly's Kunst und Schreibforum

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    Rachel Joyce – The Music Shop

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    Von allen bewunderter Meister der Künste
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    Beitrag von SaKi Sa 21 Apr 2018, 13:38

    The Music Shop



    1988. Frank owns a music shop. It is jam-packed with records of every speed, size and genre. Classical, jazz, punk – as long as it’s vinyl he sells it. Day after day Frank finds his customers the music they need.

    Then into his life walks Ilse Brauchmann.

    Ilse asks Frank to teach her about music. His instinct is to turn and run. And yet he is drawn to this strangely still, mysterious woman with her pea-green coat and her eyes as black as vinyl. But Ilse is not what she seems. And Frank has old wounds that threaten to re-open and a past he will never leave behind ...

    ~*~


    Hier gibt es das Buch und eine Leseprobe der ersten zweieinhalb Kapitel.
    Hier gibt es  eine etwas günstigere Ausgabe des Buches.

    ~*~



    Die Gemeinschaft der Unity Street – irgendwo in den Docklands von London – hält zusammen. Die Läden sind wie ihre Besitzer: Einzigartig und ein wenig abgehalftert. Das Leben ist hart, aber man kennt sich, man hilft einander, ist für die anderen da. Das gilt im Besonderen für Frank, der in seinem Plattenladen viel mehr als nur Vinyl verkauft. Frank ist Musik. Und er rettet Menschen mit Musik, indem er ihnen genau die Lieder gibt, die sie brauchen. Nur einem einzigen Menschen kann Frank nicht helfen: Sich selbst. Aber das stört ihn nicht.

    Eines Abends jedoch bringt eine junge deutsche Frau alles durcheinander, indem sie einfach vor Franks Musikladen in Ohnmacht fällt. Seitdem herrscht unter den Bewohnern der Unity Street helle Aufregung. Und auch Frank ist von der Frau in dem feinen grünen Mantel, die sich als Ilse Brauchmann vorstellt, völlig verwirrt. Bisher ist es ihm nie schwer gefallen, Musik für andere Menschen zu finden, denn er hat nur in sie hineinlauschen müssen, um das Richtige zu finden. Bei Ilse Brauchmann ist es anders. Bei ihr findet er nichts als tiefe Stille. Als sie ihn bittet, ihr im Rahmen von Unterrichtsstunden von Musik zu erzählen, legt er ihr ganze Welten von Musik zu Füßen, begeistert sie für die unterschiedlichsten Stile, Komponisten und Künstler. Doch Ilse Brauchmann bleibt für ihn so mysteriös wie am ersten Tag. Und es gibt noch etwas, das Frank daran hindert, sie besser kennenzulernen: Ilse Brauchmann ist verlobt. Sie ist außer Reichweite. Und dennoch gibt Frank jede Woche sein Bestes, um sie in seine Welt der Musik eintauchen zu lassen.

    In der Zwischenzeit wird die Situation in der Unity Street immer ernster. Erste Läden werden geschlossen. Ein polnischer Bäcker sucht in einer Nacht- und Nebelaktion sein Heil in der Flucht, Unbekannte beschmieren die Schaufenster mit Graffitis, eine dubiose Baufirma stellt große Plakate auf, die Neubauwohnungen anpreisen. Und während Frank und Ilse einander umkreisen wie zwei Sterne in einem Doppelsternsystem, fällt Frank Welts und die seiner Freunde Stück für Stück auseinander. Bis es keine Flucht vor der Vergangenheit und der Wahrheit mehr gibt – für niemanden.



    ~*~



    Rachel Joyce ist momentan meine Lieblingsautorin und diesmal konnte ich ihr neues Werk nicht abwarten und habe es mir auf Englisch gekauft. Mittlerweile ist es unter dem Titel »Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie« auch auf Deutsch erschienen, aber diese Ausgabe habe ich noch nicht gelesen (steht aber schon bei mir im Regal *g*). Ehrlich gesagt, habe ich erst vor anderthalb Stunden das Buch auf Englisch beendet und ich bin immer noch ganz gefangen davon. Es ist wirklich großartig. Rachel Joyces Stil hat mich ja schon bei ihren anderen Werken (»Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry«, »Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte« und weitere) in ihren Bann gezogen. Mit unglaublicher Leichtigkeit erschafft sie Bilder von großer Intensität, durch die der Leser alles so deutlich vor sich sieht, als wäre er mitten im Geschehen. Ihre Charaktere sind allesamt liebevoll ausgearbeitet und schon nach kurzer Zeit fühlt man sich ihnen so nahe wie alten Freunden. So auch diesmal. Ich habe sie alle ins Herz geschlossen. Frank, Ilse, Kit, Father Anthony, Maud, Mrs. Rossous mit ihrem Chihuahua, den Mann, der nur Chopin mag, Peg, die Bedienung im Singing Teapot, Henry ... einfach alle.

    Normalerweise mag ich keine Liebesgeschichten, aber dieses Buch ist weit mehr. Natürlich liebt Frank Ilse Brauchmann. Natürlich geht es um sie. Aber es geht um so viel mehr. Die Musik und ihre Stärke zieht sich durch das gesamte Buch. Sie ist das Schlüsselelement. Kein Wunder, denn Frank ist die Personifizierung von Musik. Sein ganzes Leben dreht sich um Musik. Und er zieht alle in seinen Bann. Nicht nur die Buchcharaktere. Auch den Leser. Dabei macht er nichts Besonderes und fühlt sich in seiner eigenen Haut meistens unwohl. Er wohnt in einer schäbigen kleinen Wohnung über dem Laden, der in einem Haus ist, von dessen Wänden der Putz fällt, in einer Straße, die von der Welt vergessen zu sein scheint. Und doch sitzt Frank jeden Tag hinter seinem Tresen – mit einem Deckel auf seiner Vergangenheit und möglichst wenig Gedanken an das, was Ilse Brauchmann mit ihm anstellt – und hilft den Menschen, die in seinen Laden kommen. Bis es an einem Tag zur Katastrophe kommt, die ihrer aller Leben verändert.

    Ich bin mir sicher, dass die deutsche Ausgabe genauso wunderbar ist wie das englische Original, falls jemand lieber auf Deutsch als auf Englisch liest. Bisher waren alle Übersetzungen von Rachel Joyces Werken sehr gut und lasen sich ganz wunderbar. Aber allen, die gern englische Belletristik lesen, möchte ich das englische Original ans Herz legen, denn ich denke, nicht nur der Stil ist so ganz unverfälscht, sondern auch die gelegentlichen deutschen Einwürfe von Ilse Brauchmann kommen so besser rüber. Auch wenn es sich bei dem Buch eigentlich um eine Liebesgeschichte handelt, geht es eigentlich gar nicht so sehr um die Liebe an sich – die entwickelt sich ganz natürlich zwischen den beiden und ist so selbstverständlich, dass sie sich wunderbar in das Gesamtkonzept des Buches einfügt. Der Fokus liegt immer noch auf der Musik, auf Frank und seinem Leben, auf den Menschen in der Unity Street und ihrer Beziehung zueinander. Und Schallplatten. Das Buch ist eine Hommage an Schallpatten. Ich selbst bin für Vinyl zu spät geboren worden (ich bin mit CDs aufgewachsen) und beim jetzigen Revival der Schallplatten fehlt mir das Geld und das Interesse für dieses Medium (ich bin jemand, der Musik von CDs digitalisiert, um sie dann zu hören – das gestaltet sich bei Vinyl als schwierig *g*). Nichtsdestotrotz kam die Liebe für dieses Medium bei mir an. Ich habe mich in letzter Zeit ab und an dabei ertappt, wie ich überlegt habe, ein paar Plattenläden hier in Berlin zu besuchen oder über die Anschaffung eines Plattenspielers nachgedacht habe. Ich hab es zwar nicht gemacht (bisher), aber das ist eindeutig dem Einfluss von Rachel Joyce und Frank zuzuschreiben.

    Die Vorstellung ist ein bisschen lang und verworren geworden (ich kann das Wesen des Buches irgendwie nur schlecht einfangen, aber vielleicht bin ich einfach zu begeistert von dem Werk in seiner Gesamtheit), aber ich hoffe, ich konnte das Interesse des einen oder der anderen wecken. Von mir gibt es für »The Music Shop« von Rachel Joyce jedenfalls 100 von 100 möglichen Sternchen und eine klare Leseempfehlung an alle, die gute Bücher mögen. Man muss zum Lesen kein Fan von Schallplatten, Liebesgeschichten, London oder grünen Mänteln sein. Man muss nur bereit sein, sich auf eine Reise zu begeben. Eine Reise ins London von 1988, eine Reise in die Welt der Musik und das Leben in einem weißen Haus am Meer, eine Reise zu sich selbst und den Dingen, die man vergraben hat, in der Hoffnung, sie würden irgendwann verrotten und vergehen, wenn man sie nur lange genug nicht antastete. Ihr werdet sie nicht bereuen.


      Aktuelles Datum und Uhrzeit: Mi 08 Mai 2024, 15:16